Alte Fleiwa

1.500 Schweine am Tag

 

Viele kennen den hoch aufragenden Turm und das Gelände „Alte Fleiwa“ zwischen Ziegelhof- und Haareneschviertel. Dass es sich bei dem Turm um den Wasserturm für die Energieversorgung der ehemaligen Fleischwarenfabrik („Fleiwa“) handelt, die von 1924 bis 1988 an dieser Stelle existiert hat, ist vermutlich weniger bekannt. Im April 1923 verkaufte die Stadt zwei Grundstücke zu beiden Seiten des verlängerten Philosophenwegs an den Unternehmer Georg Bölts. Der Auftakt war gemacht für den Bau der Fleischwarenfabrik Bölts AG. Mitten in einem, eigentlich als reines Wohnviertel ausgewiesenen Areal begannen im Herbst des Jahres die Baumaßnahmen für die Fabrik auf dem 100.000 Quadratmeter großen Gelände. Ein Jahr später wurde die Produktion aufgenommen.

Nach einer starken Inflation nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und einer kurzen Phase der Stabilisierung setzte ab Herbst 1922 eine Hyperinflation ein, der Wert der Reichsmark sank rapide. Die Versorgung der Bevölkerung war problematisch, Getreide und Kartoffeln waren Mangelware. Und so war es beispielsweise verboten, diese Lebensmittel für die Schweinemast zu verwenden. Wieso wurde ausgerechnet in einer solchen Zeit eine große fleischverarbeitende Fabrik geplant mit etwa 500 Arbeitsplätzen?

1922 hatte sich in Oldenburg eine Gesellschaft gegründet, deren Ziel es war, die Lieferung von Futtergetreide aus den USA im Austausch gegen heimische Schweinefleischproduktion für den englischen Markt auszuhandeln. Dieses sogenannte Kompensationsgeschäft wurde bargeldlos und ohne Devisen abgewickelt und umging somit die ständig an Wert verlierende deutsche Währung. Somit lohnte sich die Fleischproduktion in großen Mengen. Einer der Gesellschafter war Georg Bölts, dessen Familie seit 1886 im Ammerland einen fleischverarbeitenden Betrieb führte. Er sah seine Chance gekommen zu expandieren. Für die Stadtverwaltung hatte die Ansiedlung der Fabrik große finanz- und wirtschaftspolitische Bedeutung und so wurde man sich schnell einig. Mit der Aussicht einen florierenden Betrieb in schwierigen Zeiten etablieren zu können, gab es kaum Bürgerproteste bezüglich des Standorts in einem Wohngebiet.

Unter dem Eindruck der in den USA entstehenden Fließband- und Massenproduktion entstand eine moderne Fabrikanlage. Nach amerikanischem Vorbild wurde das Unternehmen über Anschlussgleise an das zentrale Eisenbahnnetz angeschlossen und der Hauptteil der Schweine und Rinder wurde per Bahn angeliefert. Mit der modernen Betriebsorganisation konnten täglich 1.500 Schweine und 100 Rinder verarbeitet werden. Das machte die Bölts AG zu Europas größter Fleischwarenfabrik.

 

Allerdings hielt die Euphorie nicht lange an. Schon drei Jahre nach Eröffnung stand der Betrieb 1927 kurz vor dem Konkurs. Hohe Zinsen und mangelnde Kapazitätsauslastung führten zu großen Verlusten. Um den Konkurs abzuwenden, wurde die private Bölts AG an die genossenschaftliche Großeinkaufsgesellschaft deutscher Konsumvereine (GEG) verkauft und produzierte ab November 1927 unter dem neuem Firmenlogo GEG. Das Ziel der Gesellschaft war, ärmeren Bevölkerungsschichten kostengünstig qualitativ gute Ware anzubieten. Der Betrieb florierte. Durch weitere Modernisierungen konnte der jährliche Umsatz gesteigert werden.

In der Zeit des Nationalsozialismus war die Produktion rückläufig. Der Betrieb bestand aber weiter bis Ende des Zweiten Weltkriegs. Im Frühjahr 1945 wurde das Gelände durch einen Bombenangriff schwer beschädigt, jedoch direkt nach Kriegsende wiederaufgebaut.  Ab 1950 wuchs der Absatz wieder kontinuierlich und 1977 arbeiteten rund 800 Menschen im Betrieb. Neben Frischfleisch und Räucherwaren wurden zunehmend Fertiggerichte in Gläsern und Dosen angeboten (z. B. Gulasch, Rouladen oder Königsberger Klopse).  Mit der erneuten Produktionssteigerung kam das Problem auf, dass der Standort zu klein wurde und eine weitere Modernisierung der Anlagen daher nicht möglich war. Die Entscheidung fiel, am Stadtrand von Oldenburg im Gewerbegebiet Tweelbäke eine neue Fabrik zu bauen. 1988 nahm das Unternehmen dort den Betrieb auf.

Fabrikgelände und Gebäude der ehemaligen Bölts AG standen nach dem Umzug knapp 20 Jahre leer, bevor die Transformation zu einem Dienstleistungs- und Innovationszentrum gelang. Seit 2007 haben sich mehr als 40 Unternehmen angesiedelt. Die Stadtverwaltung nutzt ebenfalls mehrere Gebäude, unter anderem für das Technische Rathaus und das Gesundheitsamt.

Text: Franziska Boegehold-Gude