Kramermarkt

Die Creme de la Kräm

 

Fahrgeschäfte, die sich in rasantem Tempo drehen, bunte Losbuden mit übergroßen Plüschtieren als Gewinne, Essensstände, die verschiedenste Leckereien anbieten und ein 60 Meter hohes Riesenrad: Das alles sind die Anreize für die alljährlich rund 1,5 Millionen Besucher:innen, den Oldenburger Kramermarkt an der Weser-Ems-Halle zu besuchen. Die Kirmes, die jedes Jahr von Ende September bis Anfang Oktober stattfindet, ist für Oldenburger:innen das, was für Köln der Karneval ist: Pflichtveranstaltung und die „Fünfte Jahreszeit“.

Doch der Kramermarkt war nicht immer die farbenfrohe Vergnügungsveranstaltung, die er heute ist. Seine Geschichte ist eigentlich eine andere und beginnt im Jahr 1608. Nach der Gründung des Marktes durch Graf Anton Günther ist er anfangs noch als „Michaelis-Markt“ bekannt, da er am Samstag nach dem Michaelistag am 29. September anfing. Nach der Erntezeit verkauften Oldenburger:innen und auswärtige Handelstreibende ihre Waren (oder „Kram“) auf dem Marktplatz vor dem Rathaus – daher der spätere Name. Die Bezeichnung „Kramermarkt“, „Krämermarkt“ oder „Krammarkt“ bezieht sich auf Volksfeste oder Handelsmärkte, die durch das historische Umherziehen von „Krämern“, also Händlerinnen und Händlern, entstanden sind. In ihrem Ursprung drückte die Bezeichnung „Krammarkt“, im Gegensatz beispielsweise zu Viehmärkten, einen Schwerpunkt im Handel mit Gebrauchsgütern aus, die das lokale Handwerk nicht herstellte. Auf einem Krammarkt kommen Angebot und Nachfrage zusammen. Damals bekamen die Besucherinnen und Besucher hier neben den einheimischen Ernteerträgen auch Waren aus den unterschiedlichsten Weltregionen zu Gesicht: Gewürze aus Indien, Feigen aus der Türkei, Porzellan aus China oder Stoffe aus England.

Im 19. Jahrhundert begann die allmähliche Verwandlung vom reinen Handelsplatz zum Volks- und Vergnügungsfest. Musikant:innen  (sogenannte „Bierfideler“) und Seiltänzer:innen waren die ersten Sensationen. Laut Überlieferung drehte sich um 1825 das erste Karussell, welches damals noch mit Muskelkraft betrieben wurde. Erst ab ca. 1880 kamen hierfür Dampfmaschinen zum Einsatz. Ein bedauerlicher Aspekt war die Vorführung von Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen zur Belustigung des Publikums. Den auftretenden Personen wurden herabwürdigende Namen wie Jojo, der „Mann mit dem Hundegesicht“, Lionel, der „Löwenmensch“ oder Elvira, „unstreitig das schwerste Mädchen, das je gelebt“, verliehen. Nach und nach verdrängten Fahrgeschäfte und Attraktionen die reinen Warenhändler. Diese verblieben 1877 auf dem Marktplatz, während die Amüsierbuden nördlich der Altstadt auf den Pferdemarkt zogen.

Wegen der starken Konkurrenz von außerhalb versuchten die Oldenburger Kaufleute um 1850 und 1867 den Kramermarkt wieder loszuwerden, allerdings ohne Erfolg. Nur aufgrund einer wiederholten Seuchengefahr fiel der Markt im 19. Jahrhundert mehrmals aus. Für viele Gewerbetreibenden, wie etwa den Gastwirt:innen, stellte der Markt und die zahlreichen Menschen, die mit ihm in Verbindung standen, jedoch eine finanzielle Bereicherung dar. Immer mehr Besucher:innen reisten aus dem Umland an, so dass der Kramermarkt für die Stadt ein immer bedeutsamerer Wirtschaftsfaktor wurde.

Im 20. Jahrhundert war der Markt in seiner Ausprägung als Volksfest eine Konstante geworden und über die Stadtgrenzen Oldenburgs hinaus äußerst beliebt. Sehr schwer war es für die Schausteller:innen in den Kriegsjahren: Das Angebot war nur begrenzt und die feierliche Stimmung blieb aus. Trotzdem brachte das Fest den Kindern etwas Abwechslung. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörten Schiffsschaukel, Achterbahn, Kettenkarussell, Avus-Bahn, Lotteriespiele, Schießbuden und „Hau den Lukas“ zu den jährlichen Attraktionen des Marktes, ebenso wie Würstchen- und Süßwarenbuden und die berühmten Figuren Mecki und Esel, die für viele Generationen als Fotomotiv dienten. Treffpunkt der Jugend auf dem Kramermarkt der 1950er-Jahre war „Vespermanns St.-Moritz-Bahn“ oder „Ludewigts Raupenbahn“. Hier hörten viele das erste Mal Musikrichtungen wie etwa Rock’n’Roll von Elvis Presley oder Bill Haley, da im Radio derartige Musik zu dieser Zeit nicht gespielt wurde.

Jeden Herbst zog es nun Tausende auf den Pferdemarkt, der damals noch nicht der Verkehrsknotenpunkt war, der er heute ist. Als sich das nach dem Zweiten Weltkrieg allmählich änderte und die Hochlegung der Bahngleise bevorstand, musste der Markt umziehen: Seit 1963 ist die Fläche neben der Weser-Ems-Halle Austragungsort – eine Entscheidung, die nicht überall auf Gegenliebe stieß und viele dadurch sogar ein schnelles Ende des Kramermarktes prophezeiten. Heute beschäftigt die Standortfrage niemanden mehr: Der Kramermarkt ist als fester Bestandteil der Stadt etabliert und dient zusätzlich als repräsentatives Aushängeschild der Oldenburger Vergnügungskultur.

Text: Alexander Duschek