Wilhelm 13

Das Provisorium bleibt!

 

Seit über 100 Jahren steht dieses Holzhaus in der Leo-Trepp-Straße 13 (ehemals Wilhelmstraße) und kann von einer wechselhaften Geschichte verschiedenster Nutzungen erzählen. Doch nach dem ursprünglichen Plan von Stadt und Staat Oldenburg sollte es gar nicht mehr existieren, denn die Nutzungsdauer war nur für 10 Jahre angesetzt worden. Es ist ein Gebäude, welches aus vielen gleich gestalteten Bauteilen schnell zusammengesetzt wurde und nur vorübergehend genutzt werden sollte. Von ihrem Dasein als Übergangslösung stammt die Bezeichnung „Baracke“.

Der Einsatz von schnell aufzubauenden und stabilen Unterbringungsmöglichkeiten etablierte sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Zuerst wurden solche Hütten in verschiedenen Kriegen als Lazarette genutzt. Aufgrund ihrer Bauweise mit zusätzlichen Lüftungsmöglichkeiten in der Dachkonstruktion wurden durch die bessere Belüftung die Heilungschancen für Kranke und Verwundete deutlich höher angesehen.

Diese Erfahrungen machten sich anschließend die Krankenhäuser zunutze, um vor allem Patientinnen und Patienten mit ansteckenden Krankheiten wie Typhus, Scharlach, Diphterie oder Tuberkulose einerseits isolieren und andererseits besser behandeln zu können. So entstanden bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts an vielen Hospitälern derartige Baracken als vorübergehende Erweiterungen und Ausweichstationen für zu isolierende Kranke.

Auch das 1841 fertiggestellte Peter-Friedrich-Ludwig-Hospital in der Peterstraße profitierte von dieser Entwicklung. Zu Anfang war innerhalb des Gebäudekomplexes ein Bereich für Kranke im Dachgeschoss vorgesehen, die von den anderen Patient:innen separiert werden sollten. Doch spätestens nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 hielten immer mehr Infektionskrankheiten Einzug in die Bevölkerung. Da das Peter-Friedrich-Ludwig-Hospital die einzige Krankenanstalt in Oldenburg war, die überhaupt Menschen mit ansteckenden Krankheiten aufnahm, wurden die freien Betten in der Isolationsabteilung schnell knapp. Eine erste Abhilfe wurde 1876/77 mit dem Anbau eines Infektionstrakts zum Hof hin an den Südflügel des Hospitals geschaffen. Eine zweite Erweiterung folgte 1895/96 mit dem Bau eines ersten festen Isolierhauses in der Wilhelmstraße 18. Für den Neubau wurde das nicht mehr genutzte Pockenhaus abgerissen. Der hinzugewonnene Platz reichte aber ebenfalls nicht lange aus, um alle Erkrankten aufnehmen zu können. Aufgrund der hohen Ansteckungsgefahr durch beengte Wohnsituationen nahmen vor allem die sich schnell verbreitenden Scharlach- und Diphterie-Erkrankungen rasant zu. Als Notbehelf wurde von 1908 bis 1915 eine Lazarettbaracke vom Preußischen Landesverein des Roten Kreuzes ausgeliehen und im Hof des Hospitals aufgestellt. Doch musste eine dauerhafte Lösung für die vielen ansteckenden Infektionskranken gefunden werden. Eine umfangreiche Debatte zwischen Stadt und Staat Oldenburg war die Folge.

Die ursprünglichen Überlegungen sahen ein zweites, größeres Infektionshaus vor. Dafür kaufte man ab 1913 verschiedene Grundstücke in der Wilhelmstraße für das Peter-Friedrich-Ludwig-Hospital an, unter anderem auch das Grundstück des Theaterinspektors Mohr in der Nr. 13. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 machte allerdings jegliche großen Planungen zunichte. Man einigte sich auf ein Provisorium - eine schnell und einfach zu errichtende Konstruktion ähnlich der geliehenen Baracke. Dieses Holzhaus wurde nach einer Bauzeit von nur wenigen Monaten im Sommer 1915 in Betrieb genommen. Bei sachgerechter Unterhaltung wurde die Dauer der Nutzung auf etwa 10 Jahre geschätzt. Mit dieser zweiten Absonderungsabteilung war das Problem der Überfüllung des Krankenhauses aber weiterhin nicht gelöst. Dies spiegelt die noch lange andauernde Gefahr durch Infektionskrankheiten wieder. Es mussten noch weitere Häuser in der Wilhelmstraße zu Isolierstationen umfunktioniert werden, bis sich Anfang der 1920er Jahre die Lage wieder weitestgehend entspannte.

Ab diesem Zeitpunkt bis zum Ende der 1950er Jahre ist die Informationslage über die Nutzung der Baracke in der Wilhelmstraße 13 nur noch unzureichend vorhanden. Möglicherweise wurden in dem provisorischen Bau Menschen untergebracht, die während der Besetzung des Ruhrgebiets zwischen 1923 und 1925 von dort geflüchtet waren.

Anschließend zog die sogenannte „Krüppelfürsorge“ ein, eine wohltätige Einrichtung für körperlich beeinträchtigte Kinder, vom Elisabeth-Kinderkrankenhaus in die Wilhelmstraße 13. Zu der Zeit wurde auch der seitliche Anbau als Erweiterung des Gebäudes errichtet. Diese Einrichtung des Peter-Friedrich-Ludwigshospitals, auf einem Bauplan auch als „Krüppelabteilung“ bezeichnet, blieb dort bis mindestens 1937. Das Gebäude wurde danach anscheinend noch einmal als Isolierabteilung benötigt und dann als Wohnheim für die Hospitalsmitarbeiter:innen genutzt.

Mit der Eröffnung einer an das Krankenhaus angegliederten Schule für Medizinisch-Technische Assistentinnen (MTA) der Stadt Oldenburg im Mai 1959 wurde die Baracke, schon weit über ihre angenommene Lebensdauer hinaus, einer neuen Bestimmung zugeführt: Sie beherbergte für 30 Jahre das Bakteriologisch-Serologische Labor für die Ausbildung an der Lehranstalt.

Das Peter-Friedrich-Ludwig-Hospital wurde 1986 als Krankenhaus aufgegeben, im Jahr 1990 siedelte die MTA-Ausbildung in das neue Medizinische Analyse-Zentrum (MAZ) um. Die hochbetagte Baracke muss sich zu diesem Zeitpunkt bereits in einem sehr denkwürdigen Zustand befunden haben, ein Abriss stand zur Debatte. Letztendlich rettete der Denkmalschutz das Gebäude vor dem Abbruch.

Denn noch bevor die letzte Abteilung des Krankenhauses in das neue Klinikum nach Kreyenbrück umzog, gedieh der Gedanke ein Deutsches Krankenhausmuseum zu gründen und es in einem Teil des PFLs unterzubringen. Der eigens zu diesem Zweck gegründete Verein "Deutsches Krankenhausmuseum, Oldenburg, e. V." setzte trotz einiger Widrigkeiten – zum Beispiel die fehlende Finanzierung – alle Hebel in Bewegung, um das Museum zu realisieren. Er erreichte, dass das gesamte Areal des ehemaligen Hospitals mit allen noch vorhandenen Nebengebäuden, einschließlich Isolierbaracke, 1992 unter Denkmalschutz gestellt wurde. Das in demselben Jahr eröffnete Deutsche Krankenhaus-Museum hatte dagegen nur eine ungleich kürzere Lebensdauer: Bereits zu Beginn des Jahres 1993 traten finanzielle Schwierigkeiten zutage, die auch in den nachfolgenden Monaten nicht mehr bewältigt werden konnten. Nach nicht einmal einem Jahr Betrieb wurde das Krankenhaus-Museum geschlossen und der dazugehörige Verein aufgelöst.

Die ehemalige Isolierbaracke war zwar unter Denkmalschutz gestellt, nicht jedoch in die Realisierung des Krankenhausmuseums einbezogen worden. Daher stand sie in der Zeit leer und verfiel zunehmend. Mit der Übernahme des stark renovierungsbedürftigen Gebäudes durch das Figurentheater von Pavel Möller-Lück und Barbara Schmitz-Lenders 1995 sollte sich dies jedoch ändern. Um den Anforderungen an ein Theater, aber auch dem Denkmalschutz gerecht zu werden, wurde der Innenbereich für das Theater Laboratorium nur leicht umgestaltet. Das Holzhaus erhielt statt der Stationsräume einen Zuschauerraum und eine kleine Gastronomie. Auch der Außenbereich wurde instandgesetzt.

Da der Mietvertrag auf 12 Jahre Nutzungsdauer ausgeschrieben worden war, zeichnete sich Ende 2007 ein weiterer Mieterwechsel ab. Für das Theater Laboratorium, welches in seinem Programm neben dem Figurentheater auch klassisches Schauspiel und Objekttheater verbindet, waren die Räumlichkeiten der Baracke durch den immer größer werdenden Zulauf an Zuschauer:innen ohnehin zu klein geworden. Es zog in die frühere Turnhalle des Oldenburger Turnerbundes in der Kleinen Straße 8. Im Anschluss an den Auszug des Theater Laboratoriums gab es anfangs verschiedene Pläne. Unter anderem wollte der damalige Kulturdezernent Martin Schumacher in dem Gebäude ein italienisches Restaurant ansiedeln, Oberbürgermeister Dr. Gerd Schwandner wiederum ein chinesisches.

Nach Verhandlungen mit verschiedenen Kultureinrichtungen sprach sich die Stadt letztendlich für die Nutzung der Baracke in der Wilhelmstraße 13 durch eine Kooperation von fünf Initiativen Kulturschaffender aus. Über den 2009 gegründeten Trägerverein „Musik und Literatur für Oldenburg e.V.“ wurde der Mietvertrag abgeschlossen. Der Verein seinerseits unterhält eigene Nutzungsverträge mit den fünf Initiativen bestehend aus dem Jazzclub Alluvium 1502 e.V., der Jazzmusiker-Initiative Oldenburg e.V., dem Literaturhaus Oldenburg, dem Kulturclub Oldenburg e.V. / Singers & Players und der Musikschule der Stadt Oldenburg. Damit kann nun seit 2010 ein buntes und vielfältiges Programm an Musik- und Literaturevents im „Wilhelm 13“, wie die ehemalige Baracke nun heißt, angeboten werden. Das Provisorium hat die Zeit überdauert und wird auch weiterhin bleiben.

Text: Katharina Kolczok