Warpsspinnerei

Hier spinnt keine mehr!

 

Eine Aktiengesellschaft für Osternburg

Auf diesem Grundstück an der Stedinger Straße, auf dem heute ein Automobilzulieferer produziert, wurde 116 Jahre lang von 1856 bis 1972 Baumwolle von der Aktiengesellschaft für Warpsspinnerei & Stärkerei Oldenburg verarbeitet.

Mit der rasanten Industrialisierung und der Mechanisierung der Textilproduktion veränderte sich auch die Herstellung von Textilien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die modernen dampfbetriebenen Maschinen konnten in einem Bruchteil der Zeit ein Vielfaches an Garn und Stoff herstellen als ein Mensch an Spinnrad und Webstuhl. Diese Veränderung sorgte auch in Norddeutschland für einen Strukturwandel und in Oldenburg setzte ab Mitte der 1850er Jahre ein regelrechter Gründerboom ein. Die Warpsspinnerei & Stärkerei wurde in Form einer Aktiengesellschaft gegründet und nahm 1856 ihren Betrieb im heutigen Stadtteil Osternburg auf.

Die Warpsspinnerei & Stärkerei stellte vor allen Dingen sogenanntes Warps her. Daher auch der Name der Firma. Warps ist ein Garn, das in Längsrichtung die sogenannte Kette eines Stoffs bildet. Als zweite Zutat für einen Stoff wird sogenanntes Schussgarn benötigt, das quer zwischen das Kettgarn gewebt wird. Auch Schussgarn wurde zu einem kleinen Teil in der Warpsspinnerei hergestellt. Das gefertigte Baumwollgarn wurde in Westfalen, Thüringen, Sachsen und Holstein vertrieben und bis in die 1930er Jahre auch noch im Umland Oldenburgs an die Handweber verkauft.

Nach einem Brand im Jahr 1886 wurde ein Neubau geschaffen, der zu seiner Zeit eine hochmoderne Produktionsstätte darstellte. Die sägezahnförmige Dachkonstruktion, die sogenannten „Sheds“ ließen viel Licht in die Fabrikhalle, der viereckige Staubturm (für die Abluft) war charakteristisch und die mehrstöckige Maschinenhalle erinnerte manche Menschen gar an eine Kathedrale.
Die Fabrik veränderte die damalige Vorortgemeinde Oldenburgs stark. Nicht nur für die Textilfabrik auch für die benachbarte Glashütte wurden viele Arbeitskräfte benötigt, sodass sich die Bevölkerung von 1850 bis 1872 von 2800 auf 5000 Menschen fast verdoppelte. Die Arbeitskräfte für diese Industrie kamen aus dem Umland, aber auch aus anderen Regionen Deutschlands und teilweise sogar aus England und Irland (der Hochburg der Textilproduktion zur damaligen Zeit).

Weibliche Arbeitskräfte

Bei Inbetriebnahme 1856 arbeiteten 99 Männer und 98 Frauen in der Spinnerei. Durchschnittlich waren die Arbeitskräfte 25 Jahre alt. Zu dieser Zeit arbeiteten auch etwa 50 Kinder und Jugendliche, die jünger als 20 Jahre alt waren, in der Fabrik.

Die Arbeitsplätze in der Spinnerei konnten überwiegend mit ungelernten Arbeitskräften besetzt werden. Das ist auch einer der Gründe dafür, dass vergleichsweise viele Frauen hier arbeiteten. Bis ins 20. Jahrhundert hinein war für Frauen der Platz im Heim und am Herd vorgesehen. Einen Beruf zu erlernen war für Frauen nicht vorgesehen und selbst wenn sie es wollten, war es kaum möglich eine Ausbildungsstelle zu bekommen. Deshalb waren die Arbeitsplätze für ungelernte Kräfte in der Fabrik für Frauen eine mögliche Einkommensquelle. Meist allerdings nur bis zur Heirat. Frauen waren auch die billigeren Arbeitskräfte, sie verdienten nämlich weniger, weil sie „nur“ Frauen waren. Beispielsweise bekam ein männlicher Arbeiter im Jahr 1920 3,75 Mark pro Stunde, während eine weibliche Arbeiterin nur 2,40 Mark erhielt.

Frauenalltag

Der Arbeitstag in der Spinnerei war lang und hart und die Arbeitsbedingungen teilweise unmenschlich. Die Betriebsleitung war auf möglichst hohe Gewinne aus und Arbeitskräfte konnten schnell ausgetauscht werden.
In der Spinnerei wurde in Schichten und im Akkord gearbeitet. Die Arbeitskräfte wurden nach der von ihnen produzierten Menge an Garn oder mit einem Stundenlohn bezahlt. In der Produktionshalle herrschte ein starker Lärm durch die vielen Maschinen, es war warm, stickig und die Luftfeuchtigkeit sehr hoch. Dazu kam der Baumwollstaub, der sich nicht nur in der Halle, sondern auch auf Haut und Kleidung absetzte. Die Arbeiter:innen der Fabrik wurden in Osternburg deshalb auch „Staubpudel“ genannt.

Die Schichten begannen meist morgens um 6 Uhr. Es gab eine Frühstückspause von 15 Minuten, dann wurde bis 14 Uhr 30 durchgearbeitet und die nächste Schicht begann. Erst in den 1960er Jahren kam auch eine Mittagspause von 15 Minuten dazu. Später wurden die Pausenzeiten etwas erhöht. Die tägliche Arbeitszeit lag vor 1918 bei etwa 10 bis 11 Stunden, mit Einführung des 8-Stunden-Tags etwas weniger. Überstunden waren allerdings zu allen Zeiten üblich. Außerdem wurde an sechs Tagen pro Woche gearbeitet. Toiletten mit Wasserspülung und abschließbaren Kabinen gab es erst ab den 1950er Jahren für die Arbeitskräfte. Als Pausenraum wurde der Umkleideraum genutzt.

Textilarbeiterin Frau G. berichtet aus ihrem Arbeitsalltag in der Warpssinnerei in den 1950er Jahren:

 „Morgens früh aufgestanden, gewaschen wie üblich, Klamotten gleich angezogen für die Spinnerei, gefrühstückt und hin. Ich wohnte gleich gegenüber. Der Pförtner war immer da, man konnte jederzeit rein, und dann hat man manchmal schon ein bißchen vorgearbeitet. […] Oder wir haben morgens noch ein bißchen geklönt, aber dann ging es gleich an die Arbeit – um sechs Uhr – und dann war man ja froh, daß es bald halb drei wurde und wir endlich Feierabend hatten. Manchmal habe ich von sechs bis sechs gearbeitet. Überstunden.“

Quelle: Meyer, Lioba: Die Maschinen liefen immer. Frauenarbeit in der Warpsspinnerei & Stärkerei in Oldenburg; Isensee Verlag, 1995, Oldenburg

Akkordlohn, jeden Stillstand der Maschine vermeiden, gerissene Fäden sofort wieder zusammenknoten, fertige Spulen austauschen: Eine Arbeiterin hatte die Verantwortung für circa 1000 bis 1500 Spulen, die sie auswechseln musste, wenn sie voll waren. Dabei schaffte es eine geübte Arbeitskraft innerhalb von 10 Minuten bis zu 120 Spulen auszutauschen.
Durch den ständig gleichen Arbeitsablauf war die Tätigkeit sehr ermüdend, was in der Folge auch häufig zu Unfällen führte. Aber auch der ständige Zeitdruck erhöhte die Unfallgefahr. Obwohl es verboten war, reinigten manche Arbeiterinnen ihre Maschinen bei laufendem Betrieb. Die Maschinen standen nur in den Pausen still, die natürlich lieber anderweitig genutzt wurden.

Nach einem langen Arbeitstag in der Warpsspinnerei & Stärkerei ging für viele (verheiratete) Frauen die Arbeit zu Hause weiter. Tätigkeiten wie den Haushalt erledigen, für Ehemann und Kinder kochen, putzen, waschen usw. durften nicht vernachlässigt werden. Das war sogar gesetzlich festgelegt.
Auch wenn sich die Gesetze und damit auch die Arbeitsbedingungen in vielen Fabriken, so auch in der Warpsspinnerei & Stärkerei, im Laufe des 20. Jahrhunderts verbesserten, blieb die Arbeit hart. Manch eine Frau verbrachte gar ihr ganzes Arbeitsleben in der Spinnerei und an „ihrer“ Maschine. Und doch berichteten Zeitzeuginnen auch von den schönen Momenten, die sie bei ihrer Arbeit erlebt haben. Von dem guten Verhältnis zu ihren Kolleginnen oder von Besuchen an der Bratwurstbude in der Mittagspause.

 

Bis der Schornstein fällt

Dieses Arbeitsleben in der Fabrik endete aber spätestens 1972, als die Warpsspinnerei &Stärkerei ihren Betrieb in Oldenburg einstellen musste. Das Fabrikensterben machte auch vor Oldenburg keinen Halt und die Produktion von Textilien verlagerte sich in Länder mit geringeren Löhnen. Viele Frauen verloren ihren Arbeitsplatz und da sie meist ungelernt waren, war es schwierig eine neue Anstellung zu finden. Das Gelände der Spinnerei wurde an die benachbarte Glashütte verkauft und 1977 verschwand durch den Abriss auch der Schornstein der Fabrik, der das Stadtbild in Osternburg lange Zeit geprägt hat. 

 

Text: Manuela Nitsch