Helene Lange

Die 1848 in Oldenburg geborene Helene Lange gehörte zu den führenden Persönlichkeiten der deutschen bürgerlichen Frauenbewegung im 19. und 20. Jahrhundert. Ihre Schwerpunkte lagen im Kampf um eine Verbesserung und Veränderung der Bildung und Ausbildung von Mädchen und Frauen bis hin zu Abitur und Studium, von dem sie ausgeschlossen waren.

Am 9. April 2023 jährte sich ihr Geburtstag zum 175. Mal. Anlässlich dieses Jubiläums wurden sie und ihr nachhaltiges Wirken auf vielfältige Weise in Oldenburg gewürdigt. Weitere Hinweise zum Jubiläumsprogramm sind hier » zu finden.

 

Lebensdaten & Wirken

 

Dr. h.c. Helene Lange (*9. April 1848, †13. Mai 1930)

Helene Henriette Elisabeth Lange wurde am 9. April 1848 in Oldenburg als Tochter einer Tuchhändlerfamilie geboren. Gemeinsam mit den beiden Brüdern verbrachte sie ihre Kindheit in der Achternstraße 2. Früh starben ihre Eltern, die Mutter 1855, der Vater 1864. Mit 16 Jahren verbrachte sie als Vollwaise das damals für Mädchen ihrer Herkunft übliche „Pensionatsjahr“ in einem süddeutschen Pfarrhaus. Der Sohn der Familie studierte im nahen Tübingen.

Die Geburtsstunde der Frauenrechtlerin

Folgende Begebenheit bei einem Besuch des jungen Mannes bezeichnete Lange als ihre Geburtsstunde als Frauenrechtlerin.

Er (…) ging (…) dicht vor uns Mädchen her. Das Gespräch drehte sich um die Vorlesungen, die er hörte (…). So etwas gab es also! Das konnte so ein glückseliger junger Mann alles hören; (…) Und davon waren wir als ganz selbstverständlich ausgeschlossen (…). An den Quellen zu schöpfen, die auch dem Dümmsten, nur durch Einpauken durch die Reifeprüfung geschobenen Manne offen standen, war mir verwehrt.

(Helene Lange, Lebenserinnerungen. Berlin 1928, S. 74 f.)

Sensibilisiert für die ungleichen Bildungschancen, empfand die junge Frau nach der Rückkehr in den großväterlichen Haushalt in Oldenburg ihr „Haustöchterdasein“ als unerträglich, bedeutete es nichts anderes als das Warten auf einen passenden Ehemann und Ernährer. Stattdessen organisierte sie für sich einen Aufenthalt in einem elsässischen Mädchenpensionat und danach eine Erzieherinnenstelle in einem Privathaushalt bei Osnabrück. Während dieser Zeit erwarb sie sich autodidaktisch ein umfangreiches Wissen, um sich auf das Lehrerinnenexamen vorzubereiten. 1871 ging sie, volljährig und mit einer Erbschaft ausgestattet, nach Berlin und legte die gewünschte Prüfung ab. Jahrzehnte übte sie ihren Wunschberuf aus, die Entwicklung junger Menschen zu eigenständigen Persönlichkeiten stand dabei für sie im Vordergrund. Den an Preußischen Jungenschulen üblichen militärischen Drill und das bloße „Einpauken“ von Wissen lehnte sie strikt ab.

 

Verbesserung der Lehrerinnenausbildung

Mit der Zeit geriet sie in Kontakt mit den liberalen Kreisen in Berlin, die sie an die organisierte Frauenbewegung heranführten. In ihrer Tätigkeit als Lehrerin sah sie sich mit den Missständen in der Lehrerinnenausbildung sowie mit den ungenügenden Lehrinhalten für Mädchen konfrontiert. Lange suchte nach einem Weg, Mädchen durch geschulte Lehrerinnen eine gleichwertige Ausbildung wie Jungen zukommen zu lassen und sie zur Herausbildung einer eigenständigen Persönlichkeit zu motivieren. Der Schlüssel dazu sollte die Professionalisierung der Lehrerinnenausbildung darstellen. 1888 reichten Helene Lange und fünf weitere Mitstreiterinnen eine Petition an das Preußische Unterrichtsministerium und an das Preußische Abgeordnetenhaus ein. Die Forderungen lauteten:

  1. Schaffung von mehr Stellen für Lehrerinnen für den wissenschaftlichen Unterricht an öffentlichen höheren Mädchenschulen.

  2. Schaffung einer staatlichen wissenschaftlichen Lehrerinnenausbildung.

Dazu verfasste Lange die Begründung in Form einer Begleitschrift, die als „Gelbe Broschüre“ bekannt wurde. Sie bildete den entscheidenden Anstoß zur späteren Reform des Mädchenschulwesens. Die Petition selbst ging den Weg vieler ihrer Art von Seiten der Frauenbewegung: Sie wurde im Abgeordnetenhaus nicht behandelt und von der Regierung nach einem Jahr abgelehnt. Lange und ihre Mitstreiterinnen hielten aber an der Idee einer Reform des Mädchenschulwesens fest. In der Folge gründete sie mit Minna Cauer und Dr. Franziska Tiburtius als Privatinitiative sogenannte Realkurse für Frauen, die später als Gymnasialkurse erweitert wurden. 1896 erlangten darin sechs junge Frauen nach externen Prüfungen an staatlichen Jungengymnasien ihr Abitur. Studieren konnten sie vorerst jedoch nur im Ausland. Eine Abiturientin von 1898, die erste deutsche Frauenärztin Dr. Hermine Heusler-Edenhuizen, wurde Langes Hausärztin.

Neue Organisationen der Frauenbewegung

Zur besseren Durchsetzung ihrer beruflichen Interessen riefen Helene Lange, Marie Loeper-Housselle und Auguste Schmidt 1890 den Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein (ADLV)  ins Leben. Lange blieb über dreißig Jahre dessen Vorsitzende. Ein Jahr später folgte durch Henny Böger und andere Lehrerinnen die Gründung des Oldenburger Lehrerinnenvereins, einer von vielen Zweigvereinen.

Um das Jahr 1900 zählte Lange zu den bekanntesten und einflussreichsten Persönlichkeiten der organisierten bürgerlichen Frauenbewegung im Deutschen Kaiserreich. Sie war nicht nur Vorsitzende des ADLV, sondern saß in den Vorständen des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF)  und des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF). Sie war Mitorganisatorin des Internationalen Frauenkongresses in Berlin von 1904 mit über 1000 Teilnehmenden, veröffentlichte u.a. Standardwerke zu frauenpolitischen Themen der Zeit und gab ab 1893 die Monatsschrift Die Frau heraus. Ihr gesellschaftspolitisches Ziel, verbunden mit der Forderung nach dem Frauenwahlrecht, war die Verbesserung einer einseitig männlich geprägten Welt mit all ihren Fehlentwicklungen durch weiblichen Kultureinfluss.

Politische Teilhabe im Zeichen der Nation

In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg erreichte die Frauenbewegung wichtige Erfolge. 1906 wurden 22 Frauen, unter ihnen Helene Lange und Gertrud Bäumer, vom Preußischen Kultusministerium in eine Kommission zur Reform des Höheren Mädchenschulwesens berufen. Im Kampf um politische Teilhabe verzeichneten die Frauen der verschiedenen Richtungen der Frauenbewegung 1908 mit der Änderung des preußischen Vereinsgesetzes. Bis dahin schloss es Frauen nicht nur von politischen Aktivitäten aus, es kriminalisierte sie auch. Fortan konnten sie endlich nicht nur an politischen Versammlungen teilnehmen oder sie einberufen, auch die Mitgliedschaft in einer Partei stand ihnen offen. Helene Lange trat sofort der liberalen Freisinnigen Vereinigung (FVg, auch FrVgg) bei, später umbenannt in Deutsche Demokratische Partei (DDP).

Langes ausgeprägter Nationalismus veranlasste sie bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges die deutsche Kriegsanstrengung zu unterstützen. Zum Erhalt der nationalen Einheit und des Zusammenhalts rief sie 1914 alle jungen Männer dazu auf, die Waffe in die Hand zu nehmen.

Sie schrieb dann aber in den 1920er Jahren, dass Krieg kein Mittel zur Lösung von Konflikten zwischen den Völkern sei.

 

Frauenwahlrecht und Gertrud Bäumer

Eine weitere Errungenschaft, die die Frauenbewegung erkämpft hat, erlebte Lange 1919 in Hamburg. Nach der Revolution von 1918/1919 wurde 1919 endlich das Frauenwahlrecht eingeführt. Die erste Sitzung der frei gewählten Hamburger Bürgerschaft eröffnetet Helene Lange als gewählte DDP-Abgeordnete und Alterspräsidentin.

Der Umzug von Berlin nach Hamburg im Jahr 1916 war die Folge der Berufung von Dr. Gertrud Bäumer (1873-1954) als Leiterin der Sozialen Frauenschule. Bäumer und Lange lebten schon in Berlin zusammen, seit sich in den 1890er Jahren Langes Gesundheitszustand verschlechterte und sie die junge Gertrud Bäumer als Sekretärin einstellte. Daraus entwickelte sich eine Arbeits- und Lebensgemeinschaft, die bis zu Langes Tod bestand.

1920 zogen die beiden zurück nach Berlin. Gertrud Bäumer wurde nicht nur erste Ministerialrätin im Ministerium des Innern, sondern auch Reichstagsabgeordnete der DDP. Lange erhielt 1923 die Ehrendoktorwürde der Tübinger Universität in Staatswissenschaften, was ihr erlaubte den Doktortitel Dr. h.c. (honoris causa = ehrenhalber verliehen) zu führen.

In den folgenden Jahren trat sie aber von ihren verschiedenen Ämtern und Posten zurück, da sich ihr Gesundheitszustand verschlechterte. Am 13. Mai 1930 starb Helene Lange im Beisein Gertrud Bäumers in der Berliner Privatklinik ihrer langjährigen Hausärztin Dr. Heusler-Edenhuizen. Ihre Beerdigung auf dem Westend Friedhof in Berlin glich einem Staatsbegräbnis.

Anerkennung

Es war vor allem die örtliche Oldenburger Frauenbewegung, die sich für Langes Ehrung in ihrer Heimat einsetzte. 1922 wurde Lange nach Oldenburg eingeladen, sich ins Goldene Buch der Stadt einzutragen und die alte Cäcilienschule am Theaterwall erhielt ihren Namen. Schließlich wurde Lange 1928 zur ersten und bislang einzigen Ehrenbürgerin der Stadt ernannt und im Stadtmuseum ein Helene-Lange-Raum eingerichtet. Die Namensgebung und der Museumsraum wurden durch die NSDAP-Regierung in Oldenburg 1932 wieder rückgängig gemacht.

1995 wurde zu Ehren und in Erinnerung an Helene Lange ein Denkmal auf dem Cäcilienplatz in unmittelbarer Nachbarschaft zur Büste des Oldenburgischen Philosophen Karl Jaspers errichtet. Geschaffen hat es der Oldenburger Künstler Udo Reimann. Die knapp einen Meter hohe Büste Langes aus Bronze steht auf einem Sockel aus Sandstein.

Zuletzt wurde 1998 die IGS Marschwegin Helene-Lange-Schule umbenannt.

Zum 175. Geburtstag Helene Langes feierte die Stadt Oldenburg 2023 die Pädagogin und Frauenrechtlerin unter anderem mit der Herausgabe einer Sonderbriefmarke, der Ausstellung „Lebenszitate“ im Bürgerbüro Mitte und einem vielfältigen Veranstaltungsprogramm. Weitere Hinweise zum Jubiläumsprogramm sind hier » zu finden. 

 

Text: Zentrum für Frauen-Geschichte e.V. Oldenburg und Stadtmuseum Oldenburg.

Filmportrait

 

Ein eigens zum Jubiläum produziertes Filmportrait über Dr. h.c. Helene Lange gibt einen spannenden Überblick über ihr Leben und Wirken. Der Film wurde produziert vom Medienkontor Oldenburg.

 

frauenORT Helene Lange

 

Dr. h.c. Helene Lange macht Oldenburg zu einem frauenORT. Einem jener Orte in Niedersachsen, der über bedeutsame Frauengeschichte verfügt, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und erhalten bleiben soll. Die Initiative frauenORTE entstand 2008 und ist ein Projekt des Landesfrauenrates Niedersachsen e.V. Der frauenORT Helene Lange wurde 2010 durch den Oldenburger Verein Zentrum für Frauen-Geschichte initiiert. Seitdem halten der vom Verein entwickelte „Stadtspaziergang mit Kirschenanna und Helene“ sowie verschiedene Vorträge und Lesungen die Erinnerung an Helene Lange wach.

Ein zentrales Anliegen der frauenORTE ist es, dazu beizutragen, dass Frauengeschichte und Frauenkultur einen festen Platz in kulturtouristischen Angeboten erhalten. Deshalb werben viele frauenORTE an Ortseingängen mit ihrer herausragenden Persönlichkeit. Anlässlich des 175. Geburtstags erhält auch Oldenburg Schilder, die auf den frauenORT Helene Lange hinweisen.

An den folgenden Ortseingangsstraßen wird zukünftig auf Helene Lange hingewiesen:

  • Nordmoslesfehner Straße
  • Cloppenburger Straße
  • Bremer Heerstraße
  • Alexanderstraße
  • Edewechter Landstraße
  • Nadorster Straße
  • Stedinger Straße
  • Elsflether Straße
  • Ammerländer Heerstraße
  • Bloherfelder Straße