Wäscherei Reingold

Großdampfwäscherei Reingold, Inh. Adolf de Beer

 

„Das Gute bricht sich Bahn! Groß-Dampf-Wäscherei Reingold. Erste Oldenburger Naß-Wäscherei. Das Beste, Sauberste und Modernste in Hochglanzwäsche für Herren!!! […]“

Mit dieser Annonce in der Oldenburger Zeitung „Nachrichten für Stadt und Land“ vom 4. Oktober 1908 bewarb Adolf de Beer seine vor kurzem eröffnete Dampfwäscherei im Hochheider Weg. Worin die Neuerung als „Nasswäscherei“ bestand, blieb zwar geheim, doch das Unternehmen hatte Erfolg. Schon bald florierte die Wäscherei so gut, dass Adolf de Beer expandieren konnte. Bis in die 1930er Jahre unterhielt der Betrieb über 200 Annahmestellen in Oldenburg und Ostfriesland. Normalerweise würde sich hier nun die Fortschreibung der Geschichte eines erfolgreichen Familien- und Traditionsgeschäfts anschließen. Doch mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 änderte sich für die Familie de Beer alles – denn sie waren Jüd:innen.

Adolf Daniel de Beer wurde 1877 in Emden geboren und wuchs in einer jüdischen Familie aus Landbesitzern und Viehhaltern auf. Über seinen schulischen und beruflichen Werdegang ist nichts bekannt. Mit seiner Frau Mathilde, geborene Scheunpflug, gründete er eine Familie und ließ sich in Oldenburg nieder. Die Christin Mathilde konvertierte für die Hochzeit mit Adolf zum Judentum und nahm damit den Glauben ihres Mannes an. Trotz des jüdischen Glaubens war die Familie recht liberal gesinnt, beispielsweise feierten sie mit Freunden christliche Feste wie Weihnachten.

Adolf stieg in Oldenburg in das Wäschereigewerbe ein und wurde Geschäftsführer der Dampfwäscherei „Edelweiß“. Mit diesem Unternehmen wurde er auf der großen „Landes-Industrie-Gewerbeausstellung“ von 1905 mit einem „Anerkennungsdiplom für Angestellte und Mitarbeiter“ zur goldenen Medaille ausgezeichnet. Kurz darauf machte sich Adolf de Beer mit einer eigenen Wäscherei selbstständig: die Groß-Dampfwäscherei „Reingold“, Oldenburgs erster Nasswäscherei.

Die Gemeinde Ohmstede, zu der Nadorst bis 1933 gehörte, war 1903 an die Wasserversorgung angeschlossen worden, die vom Wasserwerk Donnerschwee aus bewerkstelligt wurde. Damit fand Adolf de Beer für sein Unternehmen am Hochheider Weg optimale Bedingungen vor. Zuerst pachtete er das Gelände einer ehemaligen Wurstfabrik am Hochheider Weg 3 (ursprünglich Nr. 201, zwischenzeitlich auch Nr. 30), später ging es in seinen Besitz über. 

Schnell ließ er es ausbauen und mit zu damaliger Zeit modernen elektrischen Maschinen ausstatten, sodass der Kundschaft bestmöglicher Komfort angeboten werden konnte. Dies traf offensichtlich auf großes Wohlwollen der Oldenburger Bürger:innen. Die Dampfwäscherei „Reingold“ konnte sich bald vor Aufträgen kaum retten und eröffnete über das Oldenburger Land hinaus bis Ostfriesland etliche Zweigfilialen und Annahmestellen. Kund:innen waren in erster Linie Hotels, Gaststätten und Kasinos, aber auch einige Privathaushalte waren darunter. Das Einzugsgebiet reichte sogar bis nach Norderney: Adolf de Beer übernahm 1911 als Pächter die dortige „Dampf-Wasch- und chemische Reinigungsanstalt“ und übertrug die Leitung seinem Bruder Simon. Dieser kehrte jedoch bereits 1915 nach dem Tod seiner Frau nach Oldenburg zurück, ließ sich am Lindenhofsgarten 4 nieder und gründete mit seinem Sohn Siegfried eine Textilhandelsagentur.

 

Mathilde unterstützte ihren Mann im Geschäft und beaufsichtigte zugleich Familie und Haushalt. Das Ehepaar de Beer bekam vier Kinder: Hilde, Erich, Charlotte und Ilse. Die Kinder verbrachten ihre Kindheit unbehelligt und sorgenfrei. Neben Schule und sonntäglichem Religionsunterricht in der Synagoge waren alle sehr sportbegeistert: Erich war als Boxer im Jahn-Turnverein aktiv, Hilde als Leichtathletin beim VfB, Charlotte und Ilse turnten beim OTB. Darüber hinaus waren alle im Schwimmverein. Auch die Eltern waren in vielen Vereinen und Organisationen engagiert. Mathilde spielte Theater im Plattdeutschen Verein. Adolf de Beer war nicht nur leidenschaftlicher Geflügelzüchter und Mitglied im Rassegeflügelzuchtverein, er turnte ebenfalls beim OTB, war in die Deutsche Demokratische Partei eingetreten und außerdem für das Deutsche Rote Kreuz tätig. Für letzteres erhielt er 1916 sogar eine Auszeichnung von Kaiser Wilhelm.

Hilde zog schon früh mit ihrem Mann Helmut de Levie zusammen, die anderen Kinder wurden im elterlichen Unternehmen angelernt. Beide Töchter eröffneten für den Familienbetrieb jeweils ein eigenes Geschäft: Ilse betrieb eine Annahmestelle an der Staulinie 20, Charlotte unterhielt einen Heißmangelbetrieb am Julius-Mosen-Platz 1. Erich sollte anscheinend die gesamte Großwäscherei übernehmen, denn in den 1930er Jahren erhielt der Firmenname den Zusatz „Adolf de Beer und Sohn“. Doch dazu kam es nicht mehr. Kurz nach der Machtübernahme durch die NSDAP begann im April der Boykott jüdischer Läden. Auch vor den Reingold-Niederlassungen positionierten sich SA-Männer und versuchten die Zugänge vor der Kundschaft zu versperren. Anfangs konnten die de Beers noch auf ihre Stammkunden zählen, doch unter dem zunehmenden Druck der Regierung blieben immer mehr Aufträge aus. Um den Boykott noch irgendwie abzuwenden, meldete Adolf de Beer seine Groß-Dampf-Wäscherei „Reingold“ Adolf de Beer und Sohn am 12. Oktober 1934 ab. Am gleichen Tag eröffnete seine Frau Mathilde, die nach der nationalsozialistischen Definition als „Arierin“ galt, einen Wäscherei- und Plättereibetrieb „Reingold“ unter gleicher Adresse. Doch diese Finte war nur von kurzer Dauer. Im Jahr 1936 wurden alle Geschäftsstellen der Wäscherei „Reingold“ entweder geschlossen oder „arisiert“. Die Hauptfiliale konnte Adolf de Beer vorerst verpachten, um wenigstens noch ein paar Einnahmen zu erzielen, später wurde auch er zum Verkauf gezwungen. Spätestens mit dem Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben und der Aufgabe ihrer Geschäfte wurde die Familie de Beer auseinandergerissen. Es entbrannte eine Diskussion zwischen dem durchaus patriotisch eingestellten Vater und den Kindern, welche die Eltern zur Flucht bewegen wollten. 

Hilde hatte bereits 1935 die Chance ergriffen und war nach Israel geflohen, ihre Tochter Hedwig kam erst zwei Jahre später dazu. Ihr Glück über die erfolgreiche Emigration währte nicht lange, sie starb 1940 an einer Infektion. Erich folgte seiner Schwester 1937 illegal auf einem Viehtransport nach Israel, da er sich auf der Flucht vor der Gestapo befand. Dort meldete er sich bei Kriegsausbruch freiwillig als Soldat bei der britischen Armee. Während seines Einsatzes in Griechenland geriet er in deutsche Gefangenschaft und wurde in ein Gefangenenlager nach Schlesien gebracht. Er überlebte die Inhaftierung und kehrte nach dem Krieg über England zurück nach Israel. Erich gründete zusammen mit anderen Jüd:innen eine Siedlung und ließ sich mit seiner Familie dort nieder, wo er 1977 starb.

Ilse verließ nach ihrer Heirat mit Hermann Hirsch das elterliche Haus und zog mit ihrem Mann nach Niederlausitz. 1943 fielen sie dort den Verhaftungen zum Opfer und wurden nach Auschwitz gebracht. Kurz darauf wurde Ilse ins KZ Ravensbrück verlegt und ermordet. Charlotte blieb dagegen noch bis 1939 bei ihren Eltern in Oldenburg. Ihre Trauung mit Herbert Seligmann im Juli 1938 war die letzte Hochzeit in der Synagoge. Zusammen mit ihrer Mutter musste sie miterleben, wie diese religiöse Heimstätte in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 in Brand gesteckt und sämtliche jüdischen Männer verhaftet wurden, so auch ihr Mann Herbert und ihr Vater Adolf. Beide kamen mit 30 anderen Juden für kurze Zeit ins KZ Sachsenhausen. Gleich nach Herberts Entlassung Ende 1938 traf das Paar Seligmann Vorkehrungen zur Flucht und gelangte im Frühjahr 1939 nach Uruguay. Dort überlebten sie den Krieg. Herbert starb 1951, Charlotte kehrte anschließend zu ihren Eltern nach Oldenburg zurück. Nach deren Tod zog sie mit Zwischenstationen in Hannover und Nürnberg nach München. Als ihr damaliger Lebensgefährte 1989 verstarb, kehrte sie erneut in ihre Heimat zurück und ließ sich in einer Wohnung wieder im Hochheider Weg nieder. Sie starb im hohen Alter von 93 Jahren.

Trotz der räumlichen Trennung hielten alle Kinder Briefkontakt zu ihren Eltern so gut es möglich war. Adolf wurde 1940 gezwungen nach Hamburg in ein „Judenhaus“ zu ziehen und dort Zwangsarbeit zu leisten. Seine Frau Mathilde wurde vor die Wahl gestellt: Wenn sie in Oldenburg bliebe, würde ihr Mann von Hamburg aus in ein KZ deportiert. Sie ließ 1942 alles hinter sich und folgte ihrem Mann nach Hamburg. Durch ihre „privilegierte Mischehe“ überlebten beide den Krieg und konnten anschließend nach Oldenburg zurückkehren. Direkt im Anschluss gründete Adolf de Beer in Oldenburg zusammen mit dem Überlebenden Ernst Löwenstein wieder eine jüdische Gemeinde unter dem Namen „Jüdische Kultusvereinigung Oldenburg e.V.“, da sie als solche seit 1939 im Oldenburger Vereinsregister eingetragen worden war. Adolf starb 1955 in Oldenburg, seine Frau Mathilde 1957 in Hannover.

Die Dampfwäscherei „Reingold“ hat unter dem Nachfolger zwar den Krieg überlebt, hatte aber nur bis in die 1980er Jahre Bestand. Sämtliche Gebäude wurden abgerissen, um einer Tankstelle und einem Verbrauchermarkt Platz zu machen. „Reingold“ ist heute aus dem Oldenburger Stadtbild verschwunden. Doch an den ehemaligen Großwäschereibesitzer erinnert die Adolf-de-Beer-Straße in Etzhorn.

 

Text: Katharina Kolczok