Rollschuhbahn Rudelsburg
Das Rudel rollt.
Die „Rudelsburg“ an der Ofener Straße war in ihrer über 100-jährigen Geschichte vieles: Ausflugslokal, Kegelbahn, Restaurant, Rollschuhbahn, Saalsportstätte für Kunstradfahren und Turnen sowie Bühne für Festspiele. Seit 1837 standen auf dem Grundstück Ecke Westerstraße/Ofener Straße verschiedene Häuser und Ställe, die jedoch mehrfach teilabgebrochen, vergrößert oder gänzlich abgerissen und neugebaut wurden. Ab 1860 wurde dort – wieder mit gelegentlichen Umbauten – eine Kegelbahn betrieben. Damit beginnt die lebendige Phase der „Rudelsburg“, die später „G.O. Diele“ und „Palast Theater Groß Oldenburg“ hieß.
Richtig ins Rollen kam die „Rudelsburg“ zunächst jedoch nicht durch Rollschuhfahrende, sondern durch die in den 1880/90er Jahren einsetzende Fahrradbegeisterung in der Stadt. Im Jahr 1897 kaufte Bernard Haslinde, Brauereibesitzer, das Gebäude und errichtete einen Neubau mit Schankwirtschaft und Tanzlokal. Zur Eröffnung der neuen Lokalität mitsamt des neuen Saals fand am 6. Februar 1898 eine Feierlichkeit statt, über die bereits Mitte Januar die Nachrichten für Stadt und Land berichten: Ein Radfahrer-Gau-Fest sollte den neuen Saal einweihen – ausgetragen vom Radfahrerverein Oldenburg von 1884. Die Veranstaltung wurde vom erbgroßherzoglichen Paar besucht, das bereits kurz nach der Gründung jenes Vereins die Schirmherrschaft übernommen hatte. Mit etwa 1.000 Besucher:innen war diese Festlichkeit mit vielen wettbewerblich ausgefahrenen Formaten im Kunstradfahren – darunter Hochradreigen, Niederradreigen, Duettfahren und Einzelfahren – ein voller Erfolg. Diese neuen Sportarten, die auf glattem Fußboden ausgeführt wurden, basierten auf zwei Erfindungen, die erst wenige Jahre zuvor geschaffen wurden: Knapp zehn Jahre vor diesem Fest hatte John Dunlop im Jahr 1888 die Gummibereifung für Fahrräder entwickelt. Das Niederrad, mit der Kombination aus Pedalkettenantrieb am Hinterrad und dem diamantförmigen Rahmen, der zum Standard für Herrenräder wurde, entstand Ende der 1880er Jahre. Fortan nutzte der Radfahrerverein Germania von 1895 den Saal der „Rudelsburg“ für das Kunstradfahren und verschiedene Veranstaltungen.
Wiederholt fanden um die Jahrhundertwende Kriegsfestspiele und patriotische Festspiele statt, die von den Oldenburger Kriegervereinen, Kampfgenossenvereinen oder den hiesigen Infanterie- oder Dragonerregimentern abgehalten wurden. Hierbei ging es um die theatralen Nachstellungen des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71, die laut Nachrichten für Stadt und Land aus dem Februar 1898 „einen künstlerischen und patriotischen Genuss“ gewähren sollten. Von einem dieser Festspielbesuche berichtet auch Helene Knoche, Hausdame des Museumsgründers Theodor Francksen, in einem Brief vom 12.3.1898:
„Die Festspiele in der Rudelsburg waren wunderschön, recht schade, daß du sie nicht gesehen hast. Mir ward die angenehme Überraschung meinen Platz nicht zu finden, nahm einfach einen unbesetzten Stuhl, von dem ich natürlich bald vertrieben wurde. Ein junger Mann nahm sich meiner liebenswürdig an. […]“
Im Jahr 1906 fanden dann weitere Veranstaltungsformate Einzug in den Saal der „Rudelsburg“: August Hinrichs, Schriftsteller und Theaterregisseur, führte sein erstes Festspiel auf, dass er für die Turner des Oldenburg Turnerbundes entwickelt hatte, dem er auch selbst angehörte. Gemessen an der Berichterstattung und Würdigung durch die Deutsche Turnerschaft, war die Aufführung ein großer Erfolg.
Ab 1909 zeichnete sich eine neue Nutzung des Saales der „Rudelsburg“ ab: In diesem Jahr gründete der Oldenburger Radfahrerverein Germania von 1895 innerhalb des Vereins einen „Rollschuhverein, Abt. RV Germania Oldenburg ", der 24 Mitglieder zählte. In Bremen waren bereits Rollschuhbahnen eröffnet worden und der Verein ließ sich von diesem Trend mitreißen. Kurzum wurde im Jahr 1910 Rollschuhbahn angelegt und per Postwurfsendung samt Freikarten beworben. Obwohl die Bahn eine rege Benutzung erfuhr, musste der Betrieb der Bahn bereits im Jahr darauf wieder eingestellt werden. Erst etwa 50 Jahre später schien die Oldenburger Rollschuhzeit anzubrechen, als der Oldenburger Turnerbund eine entsprechende Abteilung ins Leben rief.
Aufgrund der Saalgröße können auch messeartige Veranstaltungen abgehalten werden. Im Jahr 1912 gastiert die „Kochkunst und Fachgewerbliche Ausstellung“ in der „Rudelsburg“, auf der auch verwandte Gewerbe der Wirtevereinigung berücksichtigt wurden. Hierfür wurde durch die Hinzunahme von Räumen eine Ausstellungfläche von 3.000 Quadrat ermöglicht.
Die Ära der „Rudelsburg“ und der „Groß Oldenburger Diele“, wie sie von ihrem letzten Pächter Max Meis genannt wurde, fand durch die Übernahme einer Druckerei ihr Ende. 1922 kaufte der Buchdruckereibesitzer Adolf Essich die Anlage für seine Firma und baute die teilweise üppigen Räumlichkeiten passend für seine Maschinen und Lagerflächen um. Die Jahrzehnte der Vergnügungen und zahlreicher sportlicher und künstlerischer Ereignisse waren vorbei. Im Jahr 1978 übernahm die Stadt Oldenburg die Gebäude und ließ sie 1981 abreißen.
Text: Claudius Mertins