Lehrerseminar Peterstraße
Von Mann zu Mann
Dass Lehrkräfte fachlich und methodisch für ihre Tätigkeiten in Schulen und anderen Lernorten an öffentlichen Einrichtungen ausgebildet werden, ist eine Errungenschaft der Reformbewegung des Schulwesens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Vorreiter war das Königreich Preußen, das bereits 1748 eine Schule für Lehrer, ein sogenanntes Lehrerseminar, gründete. Die allgemeine Schulplicht wurde in Preußen allerdings erst 15 Jahre später eingeführt: Alle Mädchen und Jungen im Alter von fünf bis 13 oder 14 Jahren sollen laut dem „Generallandschulreglement“ von 1763 in überwiegend kommunalen Schulen unterrichtet werden.
In der alten Grafschaft Oldenburg wurde die allgemeine Schulpflicht hingegen schon mit der Hamelmannschen Kirchenordnung von 1573 eingeführt. Jedoch gab es für Lehrer an den Volksschulen keine besondere Ausbildung. Wer sich für den Lehrerberuf interessierte, wurde vom örtlichen Geistlichen in seinen Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten geprüft und konnte sich bei Erfolg auf eine freie Stelle bewerben. So unterrichteten häufig Handwerker oder Bauern im Nebenberuf. In den Städten bildete sich nach und nach eine Ausbildung von Lehrern heraus, die der von Handwerkern ähnelte und auch so genannt wurde. Erst gingen sie bei einem Schullehrer in die Lehre, danach wurden sie Gehilfe (=Geselle). Mit dem Meisterstück, einer eigenständigen Schulstunde, wurden sie Meister in ihrem Fach: Schulmeister.
Die Schulaufsicht im Großherzogtum Oldenburg blieb bis 1910 an die Kirche gebunden. Jedoch wurde das Schulwesen und auch das Armenwesen unter der Regierung Herzogs Peter I. von Oldenburg Ende des 18. Jahrhunderts erneuert. Die Reformen nahmen das gesamte Feld des Erziehungswesens in den Blick und verfolgten Ziele der geistigen Bewegung der Aufklärung. Unter anderem sollte die geregelte Ausbildung von Lehrern zu einer „vernünftigen, demokratischen und republikanischen Gesellschaft“ beitragen. 1789 rief der Herzog den evangelisch-lutherischen Theologen Esdras Heinrich Mutzenbecher (1744-1801) nach Oldenburg und stattete ihn als Oberhaupt der Kirchenverwaltung mit umfassenden Kompetenzen aus.
Mutzenbecher setzte die Schulreformen um: Er gründete eine Armenschule (1790), wandelte die Oldenburger Lateinschule in ein Gymnasium um (1792) und entwickelte einen Plan für ein „Schulmeisterseminarium“. Mit dem von Peter I. neu errichteten Landschulfonds finanziert, wurde 1793 das erste Evangelische Lehrerseminar in Oldenburg gegründet. Mutzenbecher wurde der erste Leiter. Standort des Seminars war ab 1804 das alte Seminargebäude in der Wallstraße 14 und ab 1846 bis 1927 ein Neubau in der Peterstraße 42.
In der Anfangsphase richtete sich die Oldenburger Seminarausbildung an zwei Gruppen. Seminaranwärter waren entweder Söhne von Lehrern, Organisten und Küstern oder aber von Oberbeamten und Adligen. Später ermöglichte das Seminar auch Söhnen aus niederen Ständen einen Bildungsaufstieg. Für Frauen war eine Berufsausbildung grundsätzlich nicht vorgesehen.
Die Lehrerausbildung war in unterschiedliche Bestandteile gegliedert: Zunächst besuchten die Seminaristen die Bürgerklasse des Oldenburger Gymnasiums und erhielten dort eine erweitere allgemeinbildende Ausbildung. Ihre praktischen Erfahrungen machten sie in der Stadtschule, in der sie beim Stadtschulhalter in die „Lehre“ gingen. Schließlich erhielten sie die fachliche Ausbildung durch den Seminarleiter im Seminargebäude. Nach ihrem Abschluss traten die Lehrer ihren Dienst an Volksschulen im evangelisch geprägten Oldenburger Land an.
Der Stundenplan für einen Seminartag im Ausbildungsjahr 1828/1829 sah folgenden Ablauf vor:
Die Lehrfächer wurden über die Jahre stetig weiterentwickelt. Zum Beispiel wurde ein Seminargarten angelegt, der zur Ausbildung der praktischen Fähigkeiten in der Selbstversorgung diente. Später wurde er schrittweise zum Botanischen Garten in seiner heutigen Form ausgebaut. Damit einhergehend erhöhte sich die Ausbildungszeit von anfangs nur einigen Monaten bis, gut hundert Jahre später, auf sechs Jahre.
Dass der Frauenanteil an Lehrkräften in Deutschland an allgemeinbildenden Schulen mit ca. 73,4 Prozent im Schuljahr 2020/2021 sogar höher als der der Männer ist, wäre vor über 200 Jahren nicht denkbar gewesen. Mädchen der besseren Kreise konnten in Oldenburg zwischen 1618 und 1669 zwar die „Mägdlein-Schule“ (nach der Stifterin Fräulein Anna Sophia (1579 – 1639), der Schwester von Graf Anton Günther, auch Fräulein-Schule genannt) besuchen, um in Gottesfurcht erzogen zu werden und beten, lesen und schreiben zu lernen. Eine höhere Schulbildung für Mädchen wurden in Oldenburg erst ab ca. 1800 mit „Höheren Töchterschulen“ ermöglicht. Überwiegend von Frauen geleitet bestanden diese als Privatschulen meist nur wenige Jahre; so wie die Schulen von Fräulein Degen (1827-1836), Fräulein Lasius (1848-1867), Fräulein Kruse (1858-1863) oder Fräulein Ramsauer (1872-1923).
Die erste öffentliche Höhere Schule für Mädchen, die Cäcilienschule, wurde 1836 unter Konstantin Friedrich Peter, einem Enkel des Herzogs Peter I. von Oldenburg, gegründet. Als das Land 1857 die Mittel strich, wurde die Schule noch kurze Zeit als eine der letzten Privatschulen weiterbetrieben, bevor sie ganz schloss. Die Stadt Oldenburg erkannte die Lücke in der Höheren Mädchenbildung und eröffnete die Cäcilienschule 1867 in einem Neubau am Theaterwall. Heute befindet sich die Schule am Haarenufer und ist ein allgemeinbildendes Gymnasium.
Wer sich im Land Oldenburg für den Beruf der Lehrerin interessierte, konnte erst deutlich später als die Männer eine geregelte Ausbildung erhalten, obwohl die Nachfrage von unverheirateten Frauen, die eine höhere Schulbildung erhalten hatten, groß war. Ein Lehrerinnenseminar gab es noch nicht und das Oldenburger Lehrerseminar nahm keine Frauen auf. Laut Schulgesetz durften Frauen sogar erst seit 1897 als Lehrerinnen unterrichten.
Auch Helene Lange, die berühmte Frauenrechtlerin, hatte im Anschluss an ihre Oldenburger Schulzeit an der Höheren Töchterschule des Fräulein Kruses in der Region keine Möglichkeit einer professionellen Berufsausbildung, die ihr als Frau den Zugang zur Betätigung in Politik und Wissenschaft erleichtern würde. Während einer Anstellung als Erzieherin bereitete sie sich also im Selbststudium auf das Lehrerinnenexamen in Berlin vor, welches sie dort 1872 ablegte. Anschließend arbeitete sie in Berlin als Lehrerin, leitete später ein Lehrerinnenseminar und kämpfte zeitlebens für gleichberechtigte Bildungschancen von Frauen und Männern.
Im Land Oldenburg wurde erst 1902 ein Seminar für angehende Lehrerinnen eröffnet. Es war an eine private Höhere Mädchenschule in Bant im heutigen Wilhelmshaven angegliedert. 1905 zog das Seminar nach Neuenburg (heute Kreis Friesland) um. Zeitweise wurde hier über 100 Seminaristinnen ausgebildet. Mit der Umstellung auf konfessionelle „pädagogische Lehrgänge“, ein Konzept der Weimarer Republik mit hochschulmäßigem Charakter, musste das Seminar 1921 geschlossen werden. Die sich noch in der Ausbildung befindlichen Lehrerinnenanwärterinnen wurden vom Lehrerseminar in Oldenburg aufgenommen, das ein Jahr zuvor zur höheren Lehranstalt erklärt wurde. Damit wurde die Ausbildung für die Lehre an Gymnasien und Oberrealschulen möglich.
1927 wurde auch das Seminar in der Peterstraße geschlossen und stand der Lehrer:innenausbildung zu keinem Zeitpunkt mehr zur Verfügung.
Das Oldenburgische Lehrerseminar Seminar kann als Vorgänger der Carl von Ossietzky Universität angesehen werden, deren Lehramtsausbildung auch heute noch einen Schwerpunkt des Studienangebots bildet.
Weitere Stationen der Lehrer:innenausbildung in der Stadt Oldenburg waren:
1926 bis 1932: Pädagogischer Lehrgang in den Räumlichkeiten der Seminarmusikschule in der Peterstraße 23; wurde von der NSDAP-Regierung geschlossen.
1936 bis 1939: Hochschule für Lehrerbildung Oldenburg, eine gemeinsame Hochschule des Landes Oldenburgs und des Landes Preußens.
1943 bis 1945: Lehrerinnenbildungsanstalt
1945 bis 1973: Pädagogische Akademie / ab 1947 „Pädagogische Hochschule Oldenburg“ / ab 1969 gehört der Standort Oldenburg als eine von acht Abteilungen zu der Pädagogischen Hochschule Niedersachsen (PHN)
1973 bis heute: Universität Oldenburg / ab 1991 „Carl von Ossietzky Universität“
Mehr zu Helene Lange ist übrigens hier zu lesen: Stadtmuseum Oldenburg: Spielplatz im Eversten Holz (museum-findet-stadt.de)
Text: Ria Glaue