Woges Tierpark

Peter gehört zur Familie.

 

Johann Woge, auch Jan Woge genannt, hatte einen Traum. Er wollte in Oldenburg einen Tierpark betreiben – und er tat es. Sogar zweimal. Über die Vorgeschichte ist wenig bekannt. Woge war auf jeden Fall in der Zeit des beginnenden 20. Jahrhundert gut vernetzt in Oldenburg. Er war 1. Vorsitzender des „Radfahrvereins Sport Bloherfelde“ und am Bau der Radrennbahn in Bloherfelde beteiligt. Als Rennbahndirektor wurden hier unter seinem Vorsitz Rennen von internationaler Größe und Weltruf abgehalten. Sportlich aktiv war er als Fahrer der Führungsmaschine bei sogenannten Steherrennen, aber auch als Meisterschaftskegler erlangte er im Oldenburger Land Bekanntheit.

Außerdem war Jan Woge Gastwirt. Ab 1907 betrieb er drei Jahre lang eine Gaststätte in der Bloherfelder Straße, die heute unter dem Namen „Lindenhof“ bekannt ist. Dann, im Jahr 1910, kaufte er die alte oldenburgische Vergnügungsstätte „Restauration zur Erholung“ an der Alexanderchaussee 79 (heute Alexanderstraße 192). Der vorherige Betreiber, Johann Wilhelm Georg Mohnkern, hatte diese seit 1899 betrieben. Zur Anlage gehörten ein großer Saal, ein Garten, ein Kinderspielplatz, sowie eine Kegelbahn aus dem Jahr 1863.

Woge erneuerte die „Erholung“ von Grund auf und errichtete ein neues Kegelhaus mit zwei modernen geschlossenen Patentkegelbahnen, in denen die Kegel sich selbst wieder aufstellen. Die Umwandlung des Gartens in einen Tierpark dauerte jedoch einige Zeit und so betrieb er das Restaurant in der Zwischenzeit unter dem Namen „Zur Erholung“ weiter.

Seinen Tierpark eröffnete Woge wohl im Juni 1914, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Laut des Jeverschen Wochenblatts vom 5. Juni 1914 ließ Woge sich kürzlich „[…] eine große Anzahl ausländischer Tiere schicken, sodass auch Oldenburg seinen ‚Zoo‘ bekommen hat“. In den Nachrichten für Stadt und Land über „Woges Tierpark“ vom 18. Juni 1914 wurde der Tierpark als ein zoologischer Garten im Kleinen beschrieben, der zum Schauen und für das Amüsement der Kinder dienen sollte. Im hübschen, sauber gehaltenen Garten mit seinen hohen, dichten Bäumen, so die Zeitung, sei eine Tiersammlung zu bewundern.

Spätestens mit der Aufzählung ihrer Tierarten wurde den Leser:innen klar, dass es sich bei diesem Tierpark um keinen Streichelzoo mit Ziegen und Meerschweinchen handelte. Die Rede war von einem reichbesetzten Affenhaus, zwei sehr seltenen schwarzen Waldläufern, einem Hirschpaar, Kängurus, einem Jungfernkranich sowie einer Vogelvoliere mit Fasanen und Gesellschaftsvögeln. Außerdem wurden ein junger brauner Bär und ein Waschbär genannt. Wie sich die Tiere bewegten, wurde in dem Artikel als typisches Verhalten für Raubtiere erklärt. Heute ist wissenschaftlich erwiesen, dass Tiere in Gefangenschaft psychisch leiden und die sich ständig wiederholenden, gleichbleibenden und artfremden Verhaltensmuster Symptome für schlechtes Wohlergehen und Wohlbefinden sind.

 

Eine besondere Rolle im Tierpark und im Leben der Familie Woge spielte der Schimpanse Peter. Woge dressierte den Affen und ließ ihn viele Übungen einstudieren, die dem Affen menschliche Züge verleihen sollten. So konnte Peter aufrecht auf einem Stuhl sitzen und mit Messer und Gabel essen. Im Tierpark begleitete er die Gäste bei ihrem Spaziergang durch den Garten und war den Kindern ein Spielkamerad. In der Familie bewegte sich der Affe wie ein Kind und wurde, wenn er krank war, selbst vom Tierarzt wie eines behandelt. So wurde Peter zu einer Attraktion des Tierparks und über die Stadtgrenzen hinaus berühmt. Doch die Nähe zu den Menschen war für den Schimpansen gefährlich und wurde ihm letztlich zum Verhängnis. Im Winter des Jahres 1915/1916 starb Peter an einer Lungenentzündung. In Gefangenschaft erleiden Menschenaffen besonders oft Atemwegserkrankungen, die durch schlecht belüftete Innengehege begünstigt oder durch den Kontakt zu Menschen ausgelöst werden können. Weil Menschenaffen ähnliches Erbgut wie Menschen haben, können sie sich bei ihnen leicht mit Viren und Bakterien anstecken.

Die Zeitungen berichten in den Jahren zwischen 1914 und 1919 regelmäßig über Woges Tierpark. Besondere Aufmerksamkeit erlangten die Wohltätigkeitskonzerte, die Woge zugunsten der Kriegshilfe und des Hinterbliebenenfonds ausrichtete. Am Pfingstsonntag 1915 kamen 2000 Gäste zum Gartenkonzert. Verwundete Soldaten hatten freien Eintritt. Die Einnahmen beliefen sich auf 583 Mark. Auch die Geburt von Zootieren war den Zeitungen immer einen Bericht wert. 1917 wurden drei Löwen, 1918 ein Affe und 1919 ein Büffel im Tierpark geboren.

Die Berichterstattung über Woges Tierpark war weithin sehr positiv. Er genoss im ganzen Land großes Ansehen und wurde viel von auswärtigen Schulen besucht. In jener Zeit, die von kolonialen Weltbildern und Stereotypen geprägt war, wurde der „Exotik“ der Wildtiere eine besondere Bedeutung beigemessen. Als Teil einer „fremden“, weil andersartigen Welt, wurden sie zum Freizeitvergnügen inszeniert. Die Herkunft der Tiere und die Umstände, wie diese nach Oldenburg gelangten, waren nicht von Interesse. Es hieß lediglich, die Tiere seien aus Hamburg angekauft worden und auch bei Verkäufen war ebenfalls von Hamburg die Rede. Es liegt nahe, dass Woge seine Tiere bei Carl Hagenbeck kaufte. Denn als Woge in das Geschäft einstieg, blühte der internationale Handel mit Wildtieren, die überwiegend aus den damaligen Kolonien stammten, bereits seit Jahrzenten. Tierhändler wie Hagenbeck aus Hamburg oder Reiche und Ruhe aus Alfeld in Niedersachsen profitierten von diesen Strukturen. Sie verkauften Wildtiere aus Afrika und Asien und Europa, die während „Expeditionen“ eingefangenen wurden, an Zoos in aller Welt.

Ein Artikel aus den Nachrichten von Stadt und Land vom 24. April 1917 hebt sich in seinem Ton von üblichen Lobreden ab. Er betont zwar die Leistung Woges, die Tiere in Kriegszeiten unter hohem Aufwand gut zu versorgen, doch wurde auch Kritik an der Käfighaltung laut. Es hieß, „die Behälter [Käfige] seien für die Pfleglinge Woges dann doch zu primitiv und eng“. Man wollte es sich wohl aber mit dem Betreiber Woge nicht verscherzen und formulierte explizit, dass „selbst Hagenbecks großartiger Naturpark in Stellingen bei Hamburg in diesem Sinne Tierquälerei“ wäre und sich der Vorwurf nicht an den Besitzer selbst richten würde. Vielmehr sollte es als Aufruf an die Oldenburger:innen verstanden werden, sich zu organisieren und den Tierpark zum Beispiel mit einem „Verein Zoologischer Garten“ zu unterstützen.

Aber dazu kam es nicht mehr. Die Kriegsjahre führten viele Selbstständige in der Freizeit- und Unterhaltungsbranche in die wirtschaftliche Krise. Auch Jan Woge schaffte es nicht, diese Zeit zu überstehen. Er konnte immer weniger Futter für seine Tiere beschaffen und musste das Geschäft schließlich verkaufen. Der Besitzerwechsel wurde im Juli 1919 zum 1. Oktober 1919 angekündigt. Herr Johann Anton Nannen aus Bremen erstand Woges Tierpark für 110.000 Mark. Zunächst hieß es, der Tierpark solle abgebaut, die Tiere verkauft und nur der Wirtschaftsbetrieb aufrechterhalten werden. Die beiden Königstiger und der große Löwe wurden bereits für 18.000 Mark nach Amerika verkauft. Ein kurzer Artikel des Volksblatts vom 22. August beschreibt den Abtransport mit der Eisenbahn einiger Tiere und weist auf das mögliche Versäumnis hin, Woges Tierpark finanziell nicht unterstützt zu haben.

Schließlich kündigte der neue Besitzer kurzerhand an, den Tierpark doch weiterführen zu wollen. Es seien neben den Tigern und dem Löwen bislang nur Büffel und Zebras verkauft worden, die nun alle durch neue Tiere ersetzt werden sollen. Doch stattdessen verkaufte Nannen den Park noch im gleichen Jahr an Hermann Fischer weiter. Der Wirt betrieb die Gaststätte von nun an als „Fischers Parkhaus“, das später unter dem neuen Betreiber „Müllers Parkhaus“ hieß und ab 1950 auch einen Kinobetrieb führte.

Woge fasste indes neuen Fuß in der Gastronomie und unterhielt in den 1920er Jahren eine Gastwirtschaft in der Kurwickstraße. Seinen Traum von einem Tierpark in Oldenburg hatte er aber noch nicht abgehakt. 1929 kaufte er die ehemalige Sommerwirtschaft „Odeon“ an der Wienstraße 3, direkt am Eversten Holz. Das Odeon brachte alles mit, um hier einen noch größeren Tierpark errichten zu können: einen Restaurantbetrieb, den großen Garten und einen Vergnügungsplatz. Eine vorhandene Kegelbahn ließ Woge abbrechen und den Garten zum Tiergehege umgestalten.

1930 konnte Woge den neuen Tierpark eröffnen. Er betrieb ihn erfolgreich bis zu seinem plötzlichen Tod im September 1937. Der Tierpark wurde aufgelöst und die Tiere „nach Hamburg“ verkauft. Die Wirtschaft wurde zunächst unter dem Namen Odeon weitergeführt und das Tierparkgelände wieder zu einem Kaffeegarten umgestaltet. 1939 zog mit den „Parklichtspielen“ in den Saal ein Kino ein, welches bis 1967 betrieben wurde. Schließlich wurde das Gebäude 1971 abgerissen. Heute steht an dieser Stelle gegenüber des Brunnens am Eversten Markt ein Mehrfamilienhaus.

Eine vertiefende Forschung darüber, wie tief Johann Woge in den internationalen Wildtierhandel in der Zeit des deutschen Kolonialismus involviert war, steht noch aus.

 

Text: Ria Glaue