Radium-Solquelle

Verstrahlter Quell der ewigen Jugend

 

Eduard Pestrup (1883-1952) war Landwirt, Fabrikant, Destillateur und Weinhändler. Seine Wein- und Spirituosenhandlung hatte sein Vater Friedrich Pestrup gegründet. Sie befand sich bis 1969 an der Bloherfelder Straße 43, wo heute die Weinhandlung Ingrid Steden betrieben wird. Pestrup besaß zudem ein Grundstück am Quellenweg 36 (bis 1936 Hotingsweg). Hier betrieb er bereits seit einigen Jahren eine Dorfwirtschaft. Über das Gebäude ist bekannt, dass es als Wohnhaus mit Anbauten seit 1905 bestand und Um- oder Erweiterungsbauten im Jahre 1908 stattfanden.

In den 1920er Jahren gab es in den weniger zentralen Stadtteilen wie Bloherfelde noch keine Wasserleitungen und somit waren die Anwohner:innen selbst für die Versorgung mit Trinkwasser verantwortlich. Entweder wurde das Wasser von öffentlichen Brunnen geholt, bei Mineralwasserhandlungen gekauft oder vom sogenannten Wassermann geliefert. Das Wasser der öffentlichen Brunnen war jedoch oft von minderer Qualität, sodass zu Beginn des 20. Jahrhunderts vermehrt Privatleute auf ihren Grundstücken Grundwasserbohrungen durchführen ließen, um eigene Brunnen errichten zu können. Auch Pestrup entschied sich im Jahr 1928 zu einer solchen Bohrung, denn er wusste von einer Quelle, die wohl bereits um 1900 auf dem Grundstück entdeckt worden war.

Am 16. Juli 1928 hatten die Bohrungen Erfolg und die Quelle wurde wiederentdeckt. Eine vier Meter breite Wasserader in 400 Meter Tiefe hatte hier einen so starken Auftrieb, dass das Quellwasser bereits in 36 Meter Tiefe angezapft werden konnte. Bei seiner chemischen Untersuchung wurden freie Kohlensäure, Bicarbonat, Kohlensäure, Chlornatrium, Jodnatrium, Chlorkalium, schwefelsaure Erde, schwefelsaurer Kalk, kohlensaurer Kalk, kohlensaures Mangan, Kieselsäure und Spuren von Lithium festgestellt. Durch den Kohlendioxid-Gehalt war das Wasser kohlensäurehaltig und wurde als Sauerbrunnen (Mineralwasser) bezeichnet. Doch nicht nur das. Der natürliche Salzgehalt war so hoch, dass die Quelle als Solquelle (auch Sole- oder Salzquelle) galt. Die Wässer aus dieser Art Quellen wirken je nach Zusammensetzung gesundheitsfördernd und fanden in Deutschland bereits seit 1817 bei Sole-Trinkkuren und -Badekuren Anwendung.

Außerdem wurde im Quellwasser das Edelgas Radon mit einer Radioaktivität von 0,338 Mache-Einheiten (historische Einheit für die Radonkonzentration in Wasser und Luft) festgestellt. Das Gas, ein natürliches radioaktives Produkt der Zerfallsreihe des Urans, ist wasserlöslich und schwerer als Luft. In der Physikalischen Therapie von chronisch-degenerativen, entzündlichen und muskuloskelettalen Beschwerden werden Radon-Trinkkuren und Radon-Bäder seit Anfang des 20. Jahrhunderts eingesetzt. Unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg kam es aufgrund einer vermuteten Heilwirkung radioaktiver Substanzen zu einem Aufblühen der Radiumbäder in Deutschland, so in Bad Kreuznach, St. Joachimsthal, Oberschlema und Bad Brambach. Um die gesundheitsschädliche Strahlenwirkung wusste man noch nicht. In der Luft gelöstes Radon wird über die Atemwege aufgenommen und zerfällt in der Lunge in Teile, deren biologische Halbwertszeit, also der Verbleib im Körper, über 30 Minuten beträgt. Diese Strahlenbelastung erhöht das Risiko für Lungenkrebs, je häufiger die Einatmung oder je höher die Konzentration des Gases erfolgt, deutlich. Seit 2001 sind Radonanwendung deswegen in Deutschland nicht mehr im Heilmittelkatalog enthalten.

1928 aber war die Begeisterung in Oldenburg groß und die Quelle wurde zum Tagesgespräch. Ein Gutachten hatte der Quelle zudem eine ähnliche Zusammensetzung wie die der berühmten „Urquelle Baden-Baden“ und des Milchbrunnens in Soden am Taunus bescheinigt. Pestrup, der als Unternehmer nun unverhofft auch Besitzer einer Radium-Solquelle war, sah das wirtschaftliche Potenzial. Er errichtete einen Brunnen, der das Mineralwasser zu Tage förderte und gestaltete auf dem weitläufigen Grundstück an der Haaren eine idyllische parkähnliche Anlage. Hier errichtete er 1929 einen Pavillon über dem Brunnen, wo er sein Heilwasser an Gäste der Quelle ausschenkte. Aus dem Gasthaus wurde ein Kurhaus. Und tatsächlich: Ein reger Kurbetrieb setzte ein und die Quelle wurde Ziel vieler Ausflügler aus Stadt und Umland und Oldenburg träumte davon, ein zweites Baden-Baden zu werden.

Über die Wirtschaftlichkeit der Quelle in den 1930er Jahren ist nichts bekannt. Jedoch konnte sich der Oldenburger Brunnen offenbar nicht gegen die starke Konkurrenz durchsetzen. Der Traum vom Kurbad Oldenburg erfüllte sich nicht. Allerdings scheint es, dass Pestrup die Vermarktung der Quelle in die Hände seines Schwiegersohnes Johann B. Müller, Ehemann von Pestrups Tochter Hella, gelegt hat, der im Oldenburger Häuserbuch im Jahr 1940 als Mineralwasserfabrikant an der Adresse Quellenweg 36 geführt wird. Pestrup war da bereits 57 Jahre alt und hatte ab 1934 verschiedene Positionen in nationalsozialistischen Organisationen übernommen. Er gehörte von 1934 bis 1945 der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt an und war ab 1938 Mitglied des NS-Reichskriegerbundes. Zwischen 1943 und 1945 übernahm er zudem die Position eines Gruppenführers innerhalb der Stadtwacht Oldenburgs. Der Entnazifizierungsausschuss Oldenburg-Stadt stufte Pestrup später in die Kategorie V („entlastet“) ein.

Der Schwiegersohn starb nach mehrjährigem Kriegseinsatz 1944 an der Ostfront im Alter von 34 Jahren, wie eine Todesanzeige seiner Familie in den Nachrichten von Stadt und Land vom 3. März 1944 bescheinigt. Der Kurbetrieb war während des Krieges eingestellt worden und die Parkanlage 1943 an die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) vermietet worden. Die Kreisamtsleitung errichtete danach eine Baracke für eine Kindertagesstätte, die bis Kriegsende zu einem Kindererholungsheim mit Solbad für 40 Kinder ausgebaut werden sollte. Auch der Bau eines Bunker-Rundturmes war geplant, der aber wie das Solbad nicht mehr zum Umsetzung gekommen ist. Nach Kriegsende wurde das Solbad umgenutzt. Der Oberkirchenrat beantragte bei der Militärregierung eine kirchliche Nutzung der Räumlichkeiten. Schließlich wurde das Teilgrundstück von Familie Pestrup an die Gemeinnützige Siedlungsgesellschaft Oldenburg (GSG) verpachtet. Von dieser mietete die Oldenburger Landeskirche dann die frühere Baracke und nutze das „Kirchliche Seminar“ bis 1951 als Schulungs- und Freizeitheim für diverse kirchennahe Gruppen. Die parkähnliche Anlage wurde in der Not der Nachkriegszeit zu Grün- und Gartenland mit Kartoffelacker umfunktioniert. Letzte Nutzung erfuhr die Baracke in den Jahren 1953 bis 1956. Die Amerikanische Quäkerhilfe für Geflüchtete hatte hier ihre Dienststelle.

Die Quelle sprudelte nach dem Krieg immer noch und so konnte das Mineralwassergeschäft spätestens ab 1950 von einem weiteren Schwiegersohn Pestrups, dem Kaufmann und Mineralwasserfabrikant Walter Hoof, weitergeführt werden. Er füllte das Quellwasser noch bis 1957 in Flaschen ab und vertrieb es im Handel als „Echten Oldenburger Brunnen“. Als das Unternehmen 1958 verkauft werden sollte, hat die Brunnengesellschaft „Harzer Grauhof-Brunnen Goslar“ Interesse angemeldet, die mit dem Quellwasser Limonade herstellen und den gesamten Großhandel im ostfriesischen Raum bedienen wollte. Weil jedoch die Qualität des Wassers für die Herstellung von Limonaden nur in Mischung mit Süßwasser verwertbar war und die Ent- und Beladung von Kraftfahrzeugen im dem als reines Wohnviertel ausgewiesenen Quellweg verboten war, sprang die Harzer Gesellschaft ab. Ob ein Brunnen an der historischen Stelle heute noch existiert, ist nicht bekannt. Das Grundstück wurde inzwischen wieder in mehrere Parzellen aufgeteilt und mit Wohnhäusern bebaut. Im alten Kurhaus befand sich zuletzt ein Heißmangelbetrieb. Es wurde im Jahr 2022 abgerissen.

 

Text: Ria Glaue