Brücke der Nationen

Ab 50.000 eine Brücke.

 

Das Haus in der Gartenstraße 5 in Oldenburg hat eine lange und bewegte Geschichte. Zunächst 1907 als Wohnhaus für den Verwaltungsbeamten Hermann Freiherr von Rössing erbaut, diente es zwischen 1942 und 1945 als Amtssitz des zweiten Gauleiters und Reichsstatthalters Paul Wegener des Gaus Weser-Ems. Ab 1943 war das Gebäude dann in städtischem Besitz. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es von den Briten beschlagnahmt und war zunächst der Dienstsitz des britischen Stadtkommandanten. Mitte 1949 begannen die Vorbereitungen für den Einzug des British Information Centre (BIC), welches zuvor, vermutlich seit September 1947, am Heiligengeistwall 14 untergebracht war.

Das BIC in Oldenburg war eines von vielen in der Britischen Besatzungszone, denn die Einrichtung dieser Bildungszentren war Teil der britischen Besatzungspolitik. Jede Stadt über 50.000 Einwohner erhielt eine solche „Brücke“. Damit wurde das Ziel der „Re-Education“ der Deutschen zur Demokratie durch „Information statt Isolation“ verfolgt. Das erste BIC wurde im März 1946 in Berlin eröffnet. Bis September 1947 stieg ihre Zahl in Deutschland auf 64 an. Der britische General Hinde bei der Eröffnung des ersten British Information Centre in Berlin 1946:

 

„For the whole of this organisation the British authorities have chosen the name ‚Die Brücke‘. A title which in itself explains the object of the organisation. At this end of the Brücke stands the German population. At the other stands the great world, which Germany has been cut off for so long.“

 

Die deutsche Übersetzung: „Für diese gesamte Organisation haben die britischen Behörden den Namen ‚Die Brücke‘ gewählt. Ein Titel, der in sich das Ziel der Organisation erklärt. An diesem Ende der Brücke steht die deutsche Bevölkerung. Am anderen Ende steht die große Welt, von der Deutschland so lange abgeschnitten war.“ Das Zitat verdeutlicht, dass die BICs als Brücke zwischen Deutschland und der Welt gedacht waren, allerdings vermittelt über die Briten. Das Näherbringen der britischen Kultur und Lebensweise sollte den Deutschen helfen, sich nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in die Weltgemeinschaft einzugliedern.

Mit der Eröffnung der Brücke im Januar 1950 wurde die Gartenstraße 5 zu einem wichtigen Ort für die Kultur und Bildung in Oldenburg. Sie bot ein vielfältiges Programm, das sich an alle Bevölkerungsgruppen richtete. In ihrem Lesesaal fanden sich neben den mehr als achtzig Zeitungen der drei Westzonen eine große Auswahl französischer, englischer, amerikanischer und schweizerischer Tageszeitungen und Illustrierten. Zudem konnten Interessierte in der hauseigenen Bibliothek klassische und zeitgemäße Literatur in deutscher und englischer Sprache finden.

 

 

In einem Artikel der NWZ vom 30.9.1947 heißt es zur Ausstattung der Brücken in Deutschland: „Die Leseräume sind zumeist zeitentsprechend aber geschmackvoll eingerichtet und kommen in ihrem Äußeren den ästhetischen Ansprüchen junger Menschen entgegen. Hier finden die Jugendverbände nicht die trostlose Atmosphäre lieblos getünchter Schulräume und die schale Luft in den Klubzimmern der Gasthäuser. In diesen Räumen herrscht pulsendes Leben und reizt mal zur erholenden Ausspannung und mal zum ersten Studium.“

Generell gab es in der Brücke Vorträge und Ausstellungen zu politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Themen. Die erste Ausstellung im Eröffnungsjahr beschäftigte sich mit Lehrmethoden des Geschichtsunterrichts und unterstrich ihre Ausrichtung als Bildungsort. Außerdem fanden in der Brücke Konzerte, Filmvorführungen und andere Veranstaltungen statt. In ihrem Saal fanden bis zu 99 Personen Platz.

 

 

Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 wurden viele Brücken geschlossen, da die vom Britischen Außenministerium getragene Finanzierung wegbrach. 1950 gab es noch 50, 1953 hingegen nur noch 20 Brücken, von denen 16 bereits von deutschen Stellen mitfinanziert wurden. Die Brücke in Oldenburg wurde ab dem Frühjahr 1953 ebenfalls von der Stadt unterstützt. In diesem Zuge zog die Stadtbücherei in die Gartenstraße 5 ein.

Seit Oktober 1953 bis zur vollständigen Übergabe an die Stadt 1956 leitete Harry F.L. Castle als „Head of Britisch Center Oldenburg“ die Brücke. Als Fachlehrer für Englisch unterrichte er zudem an Oldenburger Schulen und gründete den „English Conversation Club“, der heute noch existiert. Die Stadt Oldenburg verlieh ihm für seine Verdienste um die deutsch-britische Verständigung 1978 das Große Stadtsiegel. Bis zu seinem Tod 1983 wohnte er in Oldenburg.

1956 wurde die Brücke schließlich vollständig an die Stadt übergeben und im September als „Brücke der Nationen“ (BDN) neu eröffnet. Damit war der Grundstein für das erste Kulturquartier Oldenburgs gelegt, dessen Herz das internationale Kulturzentrum bildete. In ihr befand sich (weiterhin) die Stadtbibliothek, deren Medienbestand in den folgenden Jahren über das Haus hinaus wuchs und neue Räume (Gartenstraße 6) erforderlich machte. Des Weiteren stellte sie Gruppen Räume für ihre Tätigkeiten zur Verfügung, so zum Beispiel dem Bund Bildender Künstler (BBK), der sich hier schon vor 1956 traf und der Deutsch-Französische Gesellschaft, lange Zeit die größte Nutzergruppe. Der Historiker Dr. Wolfgang Herda (1926-2002) leitete die Brücke ab 1959 bis zur ihrer Schließung im Jahr 1991. Er war außerdem der Leiter der Außenstelle Oldenburg der Carl Duisberg-Gesellschaft, die ebenfalls Räume in der Brücke nutzte. Für eine kurze Zeit hatte auch die Flower Street Jazzband hier einen Proberaum.

 

Eine weitere Einrichtung, deren Wurzeln in die britische Zeit des Hauses reichen, war der Jugendclub Offene Tür (OT). Er befand sich von 1967 bis 1972 im Keller der Brücke der Nationen und bot der Oldenburger Jugend einen kostengünstigen und ungezwungenen Rückzugsort. Im Rahmen einer Arbeit an der Pädagogischen Hochschule aus dem Jahr 1967 kam man zu dem Ergebnis, dass die Brücke der Nationen „zur größten und wirkungsvollsten Jugendfreizeitstätte“ geworden ist. In dieser Zeit wurde die Brücke regelmäßig von ca. 350 Jugendlichen besucht. Der Jugendclub OT war so beliebt, dass der vorhandene Platz nicht mehr ausreichte. Im April 1973 gründete sich der Initiativkreis „Haus der Jugend“ und forderte größere Räumlichkeiten. Mit Erfolg, denn schon im Dezember zog er in die Huntestraße 4a um. Sein Nachfolger ist das städtische Zentrum für Jugendkultur, das heute unter dem Namen Cadillac bekannt ist.

Ausgehend von der Gartenstraße 5 entwickelte sich die Nachbarschaft bis Anfang der 1990er Jahre zu einem städtischen Kultur-Quartier. So befand sich in der Gartenstraße 6, bis zu ihrem Umzug die Kinder- und Jugendbibliothek und die Gartenstraße 2 wurde 1982 Standort der frisch gegründeten Artothek, eine der ersten Kunstausleihen im Bundesgebiet.

Die erfolgreichste und nachhaltigste Veranstaltung aber, die in der Brücke der Nationen entwickelt wurde, war die Kinder- und Jugendbuchmesse KIBUM. Die Planungstreffen zu ihrer Gründung fanden hier statt. Der damalige Kulturdezernent Dr. Ekkehardt Seeber beschreibt die Messe als die erste Frucht der kommunalen Kulturpolitik, deren Anspruch „Kultur für Alle“ ab Mitte der 1970er deutschlandweit das Kulturangebot deutlich verändern sollte. Austragungsort der ersten KIBUM 1975 war die Aula der Cäcilienschule. Seit 1992 findet die Messe jedes Jahr im Kulturzentrum PFL statt.

1991 wurde die Brücke der Nationen geschlossen. Ein Ort, der die Neuausrichtung von Kultur und Bildung in Oldenburg geprägt hat und aus dem wichtige Impulse zur Bildung eigenständiger Einrichtungen kamen. Das Gebäude wurde an den Einzelhandelsverband verkauft, welcher es lange Jahre als „Haus des Handels“ nutzte. Heute ist es in Privatbesitz.

 

Text: Judith Behre