Gedenkstein Oldenburger Sinti:zze

74 Namen

 

An einem Herbsttag im Jahr 1989 ist es endlich soweit, jahrzehntelang mussten die Oldenburger Sinti:zze auf diesen Moment warten: Der Gedenkstein, der an die Deportation und Ermordung von 74 Menschen durch das nationalsozialistische Regime zwischen 1938 und 1945 erinnern soll, wird eingeweiht. Errichtet wurde der Stein am Friedhofsweg durch die „Bürgerinitiative Sinti in Oldenburg“, eine Vorgängerin des Vereins „Freundeskreis für Sinti und Roma in Oldenburg e. V.“ Damals war es das erste Denkmal dieser Art in Deutschland, das von einer Kommune finanziell unterstützt wurde.

Das vom Bildhauer Eckart Grenzer geschaffene Mahnmal zeigt einen in Sandstein gemeißelten Baum mit 74 fallenden Blättern, die an die 74 Opfer erinnern sollen. Für Günter Heuzeroth, der Ende der 1980er Jahre die „Bürgerinitiative Sinti in Oldenburg“ gegründet hatte, war das Errichten des Gedenksteins ein wichtiger Schritt. In ihr sah er einen Impuls für eine schon lange notwendige Beschäftigung der Oldenburger Gesellschaft mit dem Genozid an den Sinti:zze und Romn:ja und gegen das Vergessen.

Sinti:zze und Romn:ja mussten in Deutschland lange dafür kämpfen, dass die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen an ihnen als Völkermord anerkannt wurden. Noch weit nach 1945 waren behördliches Handeln und gerichtliches Urteilen von rassistischem Gedankengut geprägt, das Betroffene und deren Nachkommen von Rehabilitation und Entschädigungen ausschloss. Erst in den 1970er Jahren erlangte die Bürgerrechtsbewegung der Sinti:zze und Romn:ja Aufmerksamkeit für die Verbrechen während der Zeit des Nationalsozialismus, was 1982 zur (erstmaligen) Anerkennung des Völkermords durch die Bundesregierung führte.

Der Vorsitzende des Oldenburger „Freundeskreis für Sinti und Roma“, Christel Schwarz, kämpft nach wie vor für die Anerkennung des ertragenen Leids. Dabei geht es auch um die gegenwärtige Situation: Er setzt sich im Namen seiner Community für Sichtbarkeit, Repräsentanz und Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben der Stadt ein. Von 2018 bis zur Schließung des Ortes 2021 leistete er zusammen mit seinem Sohn Patrick Schwarz in den Räumlichkeiten des Anna Schwarz RomnoKher Bildungs- und Unterstützungsarbeit. Schwarz betreut außerdem das Maro Kher, „Unser Haus“, das den Verein beheimatet. 2013 wurde das Gebäude Ziel mehrerer Angriffe, unter anderem eines Brandanschlags. Zwar stellte die Polizei hinter der Attacke keine politische Gesinnung des Täters fest, ein rechtsextremer Hintergrund lag jedoch nahe.

Schwarz entstammt der größten Sinti:zze-Familie im Nordwesten. Während seine Großmutter, die Oldenburgerin Anna Schwarz, im KZ Auschwitz-Birkenau getötet wurde, überlebten seine Eltern Margot und Friedrich Schwarz die Internierung. Mitte der 1970er Jahren verschlechterte sich der Gesundheitszustand der Eltern. Sie bekamen von der Stadt Oldenburg eine unzumutbare Barackenwohnung am Schlagbaumweg zugewiesen und erst viel später einen menschenwürdigen Wohnraum. Margot Schwarz litt schwer an den Traumata der erfahrenen Gewalt und an der anhaltenden Diskriminierung der Sinti:zze in der Bundesrepublik. Sie versuchte dem aktiv zu begegnen, stand als Zeitzeugin zur Verfügung und gehörte bis zu ihrem Tod im Jahre 2002 zu den prägenden Frauen der Oldenburger Sinti:zze-Gemeinschaft.

Jedes Jahr am 27. Januar, dem Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz, treffen sich die Oldenburger Sinti:zze mit Repräsentant:innen der Stadt zur Kranzniederlegung im Rahmen einer offiziellen Gedenkveranstaltung. Darüber hinaus gibt es noch weitere Anstrengungen, die Situation der Sinti:zze-Gemeinschaft in das Bewusstsein der Oldenburger Menschen zu rücken: Christel Schwarz hatte mehrfach den Wunsch formuliert, eine Straße auf dem ehemaligen Militärgelände Fliegerhorst nach seiner Großmutter zu benennen. Diesem Wunsch wurde inzwischen von Seiten der Stadt Oldenburg nachgekommen. Nach dem Ende der Bauarbeiten auf dem Gelände des neuen Quartiers Hellerheide wird das Straßenschild für die Anna-Schwarz-Straße aufgestellt.

 

 

Text: Alexander Duschek