Radrennbahn Bloherfelde

Völlig von der Rolle

 

Nachdem im Jahr 1869 in Frankreich die ersten Radrennen ausgetragen wurden, schwappte die Radsport-Begeisterung Mitte der 1880er Jahre auch nach Oldenburg. In diesem Jahrzehnt gründeten sich in Oldenburg die später einflussreichsten Radfahrvereine, der RV von 1884 und der RV von 1886. Viele weitere Vereine folgten darauf in den einzelnen Stadtteilen, darunter „RV Sturm Eversten“ und „RV Adler Nadorst“. Nach der Turnbewegung waren die organisierten Radfahrer – es waren zunächst tatsächlich nur Männer – die erste große Welle der Sportbewegung in Deutschland. Der Vereinsgründungsboom war zu damaligen Zeit weit größer als beispielsweise beim Fußball. Die großen Vereine erwirkten für Oldenburg insbesondere zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Austragung von zwei großen Fahrradausstellungen, den Bau zweier Radrennbahnen sowie zahlreiche Radsportveranstaltungen. Auf den Radrennbahnen in Oldenburg wurden verschiedene Rennformate ausgefahren, darunter klassische Bahnrennen aber auch sogenannte Steher-Rennen (s.u.), die eine hohe Beliebtheit genossen. Dennoch litt der Radsport während und in Folge des ersten Weltkriegs enorm und konnte sich zumindest in Oldenburg nur schwer bis in die 1930er Jahre retten…

Die Bloherfelder Radrennbahn im Garten des Gastwirts

Der im Jahr 1902 gegründete RV Sport Bloherfelde baute wenige Jahre nach seiner Gründung die „bedeutendste Bahn Nordwestdeutschlands“. Die treibenden Kräfte hinter diesem Projekt waren Jan Woge, seinerzeit 1. Vorsitzender des Vereins und selbst als „Steher“ (s.u.) aktiv sowie Erich Schildt, Wirt des „Bloherfelder Hofes“ an der Bloherfelder Straße. Dieser stellte den Garten seines Gasthofes für den Bau der Bahn zur Verfügung. Wie zu dieser Zeit üblich, verfolgten Gastwirte wie Schildt auch ein wirtschaftliches Interesse bei der Unterstützung von Radfahrvereinen. Die Gastwirte wollten die Vereine an ihre Lokalitäten binden, um an Versammlungen, Veranstaltungen und sonstigen Aktionen zu verdienen. Die zu jener Zeit streng geregelten Tanzveranstaltungen ließen sich als Vereinsfestlichkeit abhalten, die nicht unter das Verbot fielen. Es konnten Nicht-Mitglieder eingeladen werden mit denen im erkennbar abgegrenzten Zimmer auch nach 22 Uhr gefeiert werden durfte.

Die Einweihung der Bloherfelder Bahn erfolgte am 15. Mai 1910. Die Bahn war 330 Meter lang, bestand aus hartem Sandboden und besaß erhöhte Kurven mit 20° Neigung. Damit waren Höchstgeschwindigkeiten von bis zu 52 km/h möglich. Nach der Modernisierung im Jahr 1924 waren sogar Geschwindigkeiten bis zu 110 Stundekilometern möglich, weil die Fahrbahn nun zementiert war und die Kurven auf 40-45° erhöht wurden. Im letzten Modernisierungsschritt im Jahr 1927 wurde die Rennbahn mit Platten belegt, wies eine Länge von 333,3 und eine Kurvenhöhe von 4,66 Metern auf. Die Höchstgeschwindigkeit mit dem Motorrad betrug 107 km/h. Die Radrennbahn bot Platz für 10.000 Besucher. Das Eröffnungsrennen am 8. Mai 1927 versammelte laut Oldenburgischer Landeszeitung „eine erstklassige Besetzung – im Radrennen war es die erste Elite Deutschlands […]“ auf der Bloherfelder Rennbahn vor etwa 7000 Zuschauer:innen. Neben dem Eröffnungsrennen wurde auch der „Große Preis von Oldenburg“ ausgefahren. Aber schon ab Herbst 1929 hatte es die Bahn schwer – in den Jahren 1930 bis 1932 fanden keine Rennen mehr statt. Das letzte Rennen auf dieser Bahn wurde im Jahr 1932 ausgefahren.

Der Radfahrverein Sport Bloherfelde, der die Bahn aus wirtschaftlichen Gründen nicht halten konnte, wurde im Juli 1932 aufgelöst. Auf dem Gelände des Bloherfelder Hofs und der Radrennbahn steht heute ein Supermarkt mit angrenzender Siedlung – Bloherfelder Straße, Ecke Sportweg bzw. Ecke Theodor-Heuss-Straße. Nur der Sportweg erinnert noch an die Blütezeit des Vereins, der die Radsportszene im Nordwesten mit ihrer Rennbahn belebte. Die Anzahl der Vereinsgründungen nahm bereits nach 1918 erheblich ab, aufgrund von verschiedenen kriegsbedingten Maßnahmen. Die Wiederaufnahme des Vereinsbetriebs dauerte teilweise bis in die 1920er Jahre. Generell bedeutete für viele Vereine die Inflationszeit 1922/23 das Ende. In Oldenburg kam der Bahnradsport damit zum Erliegen, da auch die Radrennbahn in Donnerschwee bereits 1902 abgerissen worden war. Straßenrennen hingegen fanden auch in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts in Oldenburg statt – bei der Internationalen-Afri-Cola-Deutschland Rundfahrt im Jahr 1962 war Oldenburg Etappen-Start- und Endpunkt.

Der Bahnradsport in Oldenburg war völlig von der Rolle…

Dieses Sprichwort ist auf eine Radsportart zurückzuführen, die nur noch wenig ausgeübt wird – in erster Linie, weil es kaum noch Radrennbahnen in Deutschland gibt, die sich dafür eignen. Sogenannte „Steher-Rennen“ waren und sind eine Kombination aus Geschick, Ausdauer und Kraft, die von einem Team aus Motorradfahrerin oder Motorradfahrer und Rennradfahrerin oder Rennradfahrer erfüllt werden müssen. Die Motorradfahrerin oder der voranfahrende Motorradfahrer steht während der Fahrt auf einem speziellen Motorrad und gibt dem Radfahrer oder der dahinter fahrenden Radfahrerin Windschatten. Gefahren wurde und wird gegen andere solcher Gespanne und es gewannen die, die auf den mit Steilkurven versehenen Rennbahnen als erste durchs Ziel fuhren. Damit das Vorderrad des Fahrrads nicht mit dem hinteren des Motorrads in Berührung und es zu Stürzen kommt, ist dort mit etwas Abstand eine Rolle angebracht, die sich bei Kontakt mit dem Fahrradreifen mit dreht. Kommt der Radfahrer oder die Radfahrerin von der Rolle ab, verliert er oder sie den Windschatten und büßt unmittelbar Tempo ein, verliert den Anschluss und kann sich nur unter enormem Kraftaufwand wieder in das Rennen zurückkämpfen. Man ist dann völlig von der Rolle…

Text: Claudius Mertins