Rennplatz

Im Schutz der Tribüne

 

Laute Rufe, Hufgetrappel und ein Gewirr aus Stimmen – das in etwa dürfte die Geräuschkulisse gewesen sein, die das heutige Areal zwischen Rigaer Straße, Kurlandallee und Rennplatzstraße von Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die 1940er Jahre prägte.

1905 kauften der Guts- und Brauereibesitzer Gustav Hullmann und sein Onkel, der Landwirt August Hanken das Gelände in Ohmstede an und errichteten neben dem Rennplatz Tribünen für Zuschauer:innen und mehrere Nebengebäude. Für das damals noch eigenständige Dorf war dies der Startschuss für knapp 40 Jahre spektakulärer Pferderennen und sportlicher Festivitäten.

Ab 1907 fand jährlich im Herbst das Landesturnier statt, das zunächst unter der Schirmherrschaft des Oldenburger Großherzogs stand. Für die Menschen aus der Stadt, aber auch aus der ländlichen Umgebung Oldenburgs gehörte das Turnier zu den festlichen Höhepunkten im Jahr. Die Veranstaltung lockte regelmäßig lokale Prominenz an. Großes Aufsehen erregte auch die Landung des Luftschiffes „Viktoria Luise“ auf dem Rennplatz im Jahr 1912, der rund 15.000 Menschen begeistert beiwohnten.

Auch nach dem Ersten Weltkrieg blieb der Rennplatz ein Ort gesellschaftlicher Großereignisse. Neben weiteren Pferderennen wurden dort in den Jahren 1930, 1931 und 1932 Motorrad-Grasbahnrennen des „Vereins Oldenburger Motorradfahrer“ (VOM) sowie Turnfeste und Flugtage ausgerichtet. Die Besucher:innern, die alljährlich zu tausenden auf das Gelände strömten, faszinierte neben dem sportlichen Faktor auch Präsentation von zum Teil unbekannten technischen Fortbewegungsmitteln.

Als im Mai 1932 die NSDAP im Freistaat Oldenburg die absolute Mehrheit gewann und die erste rein nationalsozialistische Landesregierung im Deutschen Reich bildete, wurde das Gelände auch Schauplatz von Adolf Hitlers erstmaligem Besuch in der Region. Hitler, der rund ein halbes Jahr später zum Reichskanzler ernannt werden sollte, feierte am 22. Mai auf dem Rennplatz seinen Wahlerfolg. Mit 35.000 Menschen, die seinen Auftritt verfolgten, war dies die größte politische Veranstaltung, die das Oldenburger Land bis zu diesem Zeitpunkt gesehen hatte.

Mit dem Beginn der NS-Herrschaft in der Gauhauptstadt Oldenburg kamen die Landesturniere über mehrere Jahre zum Erliegen, ehe sie 1937 wiederaufgenommen wurden und als Bühne für Propagandamaßnahmen der SA, SS und Wehrmacht dienten.

Nachdem der Rennplatz bereits 1938 eine Flakstellung erhielt, war ein Ende seiner bisherigen Nutzung absehbar. Das letzte Pferderennen fand 1939 statt. In den darauffolgenden Kriegsjahren verlor der Rennplatz endgültig seine Stellung als Freizeit- und Vergnügungsort und wandelte sich ab 1942 zu einem Ort des Elends und des Leids. Mit der Errichtung eines sogenannten „Ostarbeiterdurchgangslagers“ entstanden auf dem Gelände 43 Holzbaracken, die ursprünglich Platz für 3000 russische Zwangsarbeiter:innen bieten sollten. Als sich der Krieg dem Ende näherte lebten hier jedoch über 4000 Menschen in überwiegend katastrophalen Zuständen. In kompletter Isolation, umgeben von einem großen Zaun, und unter ständiger Bewachung kämpften ältere und kranke Menschen ohne medizinische Fürsorge um ihr Überleben. Ihr Zustand schützte sie allerdings nicht davor, weiterhin schwere Arbeit, wie etwa den Bau der Umgehungsstraße, leisten zu müssen. Die Zahl der Personen, die durch dieses Lager gingen, lag bei ca. 40.000. Neben Unterernährung und mangelnder Hygiene waren die Strafgefangenen 1944 auch einer Fleckfieberepidemie ausgesetzt, an der zahlreiche Insassen starben.

Bei einem Bombenangriff im April 1945 kamen weitere 30 Gefangene um ihr Leben. Am Tag der Kapitulation der Gauhauptstadt Oldenburg, dem 3. Mai 1945, befreiten kanadische Truppen auch das Internierungslager auf dem Rennplatz. Viele der überwiegend sowjetischen Internierten konnten zwar in ihre Heimat zurückkehren, fielen dort aber unter dem Verdacht der Kollaboration mit Hitlerdeutschland dem stalinistischen Terror zum Opfer und wurden in Lager nach Sibirien deportiert. Seit 2015 erinnert ein Mahnmal auf dem Ohmsteder Friedhof an die überwiegend anonymen Biografien der Zwangsarbeiter:innen, von denen mindestens 326 dort in einem Sammelgrab beerdigt sind.

Nach der Befreiung der Lagerinsassen standen die Baracken nicht lange leer. Schon bald siedelten sich in den heruntergekommenen Gebäuden und den Überresten der Tribüne aus den Zeiten des Pferdesports Menschen an, die durch den Krieg heimatlos geworden waren. Diese sogenannten Displaced Persons stammten vor allem aus dem Baltikum, insbesondere aus Lettland, von wo sie durch die deutsche Herrschaft vertrieben worden waren.

Das Aufnahmelager bot den Geflüchteten anfangs zwar noch ein enges soziales und kulturelles Umfeld (es gab Schulen, eine lettische Oper und abendliche Filmvorführungen in einer Art Kino), mit der Zeit wuchs allerdings die Perspektivlosigkeit. Aus diesem Grund verließen mehrere tausend Lett:innen und Est:innen Oldenburg und Deutschland bald wieder und suchten in anderen Ländern ihr Glück. Der Umstand änderte sich auch nicht nach 1950, als die Stadt Oldenburg das Lager übernahm und es zur „Lettischen Kolonie“ wurde. Mit ca. 1000 Bewohner:innen war es damals die größte lettische Siedlung in der Bundesrepublik.

Trotz Versorgungsengpässen, Mittellosigkeit und sozialer Isolation versuchten die Menschen ihrer Notsituation so angenehm wie möglich zu gestalten. Sie legten hinter den Überresten der einstigen Tribüne kleine Gärten an, hielten Hühner und Kaninchen und besuchten im Sommer den nahegelegenen Flötenteich. Die Aussicht auf ein menschenwürdiges Leben und gesellschaftliche Teilhabe blieb allerdings gering.

Ab den 1960er Jahren wurde mithilfe internationaler Gelder versucht, die Gegend umzugestalten und lebenswerter zu machen. Es entstanden Siedlungsbauten, Sozialräume und das heutige Kulturzentrum in der Kurlandallee. Nach dem Zuzug von Menschen aus den baltischen Staaten, deren Anzahl zunehmend schwand, migrierten nun auch Personen aus anderen Ländern, etwa aus Polen und der Türkei, in das Ohmsteder Viertel.

Bis heute ist die Siedlung am Rande der Stadt von finanziellen Schwierigkeiten gekennzeichnet. Jedoch hat die bewegte Geschichte des Rennplatzes zumindest ein positives Erbe hinterlassen: Mit dem Kulturzentrum ist in dem Viertel ein Ort entstanden, der den 11 dort lebenden Nationalitäten Raum für politische Initiativen, individuelle Problemlösungen, Kontaktvermittlung sowie Musik und Unterhaltung bietet.

 

Text: Alexander Duschek