Kaffeekultur
Sachertorte, Melange und a bisserl Schmäh
Was darf es sein: eine Sachertorte mit Schlagobers, Wiener Strudel mit Vanillesoße oder eine Topfengolatsche gefüllt mit Powidl? Passend dazu eine Melange, einen Einspänner oder doch schnell nur einen Mokka? Wer mit diesen Gaumenfreuden für eine Weile ein kleines Stück Wien erleben wollte, war in der Heiligengeiststraße 28 an der richtigen Adresse. Im Vorgängergebäude leiteten Anne und Hans Janßen bis Ende Januar 2016 die „Wiener Konditorei“, in Oldenburg auch kurz „die Wiener“ genannt. Zur Konditorei gehörte seit 1987 ein Café, in dem neben den erwähnten kulinarischen Genüssen mit Bezug zur Donaustadt auch Frühstück, kleine Mittagsgerichte, Eis, vielerlei Gebäck und Kuchen serviert wurden. Beliebt waren Konditorei und Café darüber hinaus für ihr vielfältiges Tortenangebot: So gab es etwa die Himmelstorte mit Mürbeteig, Schwarzer Johannisbeerkonfitüre, Vanillesahne, Mandeldecke und Staubzucker. Zu besonderen Anlässen wurden aufwendige Festtags- und Hochzeitstorten angefertigt und persönlich ausgeliefert. Pralinen standen ebenfalls zum Verkauf. Die Alleinherstellung der „Lappan-Spitze“ oder des „Pulvertürmchens“ wurde der Familie vom Konditormeister und späteren Ratsherrn Josef Heinz anvertraut.
Dabei liegen die Anfänge „der Wiener“ gar nicht an dieser Stelle. Eine „Wiener Bäckerei und Konditorei“, geleitet von einem Heinrich Dötzer, gab es schon in den 1920er Jahren am Schlossplatz 12. Im Jahr 1933 kam die „Wiener Keks-Konditorei“ (oder einfach kurz: „Wiener Keks“) in der Langen Straße 68 dazu. Diese hatte Hans Heidrowski gegründet, nachdem er kurzzeitig ein Spezialgeschäft für Kaffee, Tee, Kakao und Konfitüren geführt hatte. Heidrowski, womöglich der Sohn des Oldenburger Standesbeamten, Theaterobersekretärs und Hofschauspielers Paul Heidrowski, lässt sich in den Adressbüchern der Stadt bis 1935 nachweisen. Bekannt ist, dass Hans Janßens Vater Johannes am 9. Februar 1935 die „Wiener Keks“ von Hans Heidrowski übernahm und direkt in die Heiligengeiststraße verlegte – allerdings zunächst weiter in Richtung Pferdemarkt in das inzwischen abgerissene Haus Nummer 24. Es war gleichzeitig der Wohnsitz der Janßens.
Spätestens 1949 muss die Umbenennung in die bis zum Schluss verwendete kürzere Namensform stattgefunden haben. Johannes Janßen erwarb dann 1950 das Gebäude mit der Straßennummer 28, doch der Umzug des Geschäfts erfolgte erst Ende der 1950er Jahre und der der Familie parallel dazu oder kurz danach. Der Vater verstarb 1965, im selben Jahr, in dem Hans Janßen gerade erst seine Konditorlehre in Jever angetreten hatte. Er kehrte daraufhin nach Oldenburg zurück, um die Mutter, Marianne Janßen, die den Betrieb nun fortführte, zu unterstützen. 1973 stieg er als mittlerweile geprüfter Konditormeister in die Leitung ein und wurde 1997 alleiniger Inhaber.
Der Wien-Bezug war mit dem Namen von Beginn an gegeben und gründete sich für die Familie Janßen auf den Verkauf einer Vielzahl (nicht nur) österreichischer Gebäckspezialitäten. Johannes Janßen war zu seiner Zeit für neue Rezepte nicht nur, aber eben auch nach Wien gefahren. Mit der zusätzlichen Eröffnung des Cafés bot sich ab 1987 außerdem die Möglichkeit, das norddeutsche „Kaffeesieren“, also den behaglichen Kaffeegenuss in Gesellschaft, mit etwas Wiener Charme zu verbinden. Dazu diente ein bewusst gewähltes Interieur mit gepolsterten Kaffeehausstühlen, Marmortischplatten, Sitzbänken sowie Licht- und Spiegelelementen. Zudem wurden Kirschholz und Vogelaugenahorn verbaut. Zur Inspiration war Hans Janßen wie sein Vater zuvor nach Wien gereist.
Die Parallelen zu einem weiteren bekannten Oldenburger Betrieb sind bemerkenswert. Die Konditorei mit Café am Theaterwall Ecke Ofener Straße befand sich seit 1884 im Besitz der Familie Klinge. Den Vater ebenfalls früh verloren und die Mutter zunächst allein weiter im Geschäft, übernahm Christian Klinge im März 1986 den Betrieb und leitete ihn bis 2021. Hatte er seine Konditorausbildung eigentlich als Sprungbrett weg aus Oldenburg angesehen, widmete er sich ganz der Modernisierung des Familienunternehmens. Den Innenbereich des Cafés, der noch stark am Geschmack der 1950er und 1960er Jahre orientiert gewesen war, gestaltete er im Stile eines Wiener Kaffeehauses um. Auch hier stand zur Anregung und weiteren Planung mit einem Architekten ein mehrtägiger Besuch in der österreichischen Bundeshauptstadt an. Daraufhin wurden Lampen, Leuchter und Mobiliar sorgfältig ausgewählt. Der Korpus des neuen großen Kühltresens erhielt ein bewusst altes Aussehen. Roter Marmor wurde für Tresen, Boden, Tische und Treppen verwendet. Bei allen späteren Renovierungsarbeiten wurde darauf geachtet, das „Wienerische“ beizubehalten. Allgemein sorgte die Familie Klinge für ein entsprechendes Sortiment an Konditoreiwaren, Speisen und Getränken. Anfang der 2000er wurde sogar eine Wiener Woche mit Kaffeehausmusik veranstaltet und zum 125jährigen Jubiläum gab es in Kooperation mit dem Staatstheater ein Konzert mit Operngesang und Klavierbegleitung.
Die Anfänge der Wiener Cafés in Oldenburg
Der Wunsch, etwas Wienerisches abzubilden, zumindest aber das, was damit assoziiert wurde und dafür gehalten werden sollte, reicht bei Klinge wie bei der Familie Janßen weiter zurück. Der aus Schwerin stammende und 1908 in Oldenburg zum Hofkonditor ernannte Urgroßvater Ludwig Christian Friedrich Klinge hatte die Konditorei am Theaterwall 1884 übernommen. Erworben hatte er sie von der Witwe des kurz zuvor verstorbenen Konditors Hermann Benjamin Czerwinsky. Am 1. Februar desselben Jahres, so eine Geschäftsanzeige in den Nachrichten für Stadt und Land, eröffnete und bewarb er sie als „Conditorei mit Wiener Café“. In den Folgejahren hatte es weitere Versuche anderer Unternehmer gegeben, in der Residenzstadt Wiener Cafés und Konditoreien zu etablieren – wohl mit unterschiedlichem Erfolg. Auf Betreiben des neuen Eigentümers Bernhard Haslinde wurde im Gebäudekomplex in der Langen Straße 90 gegenüber vom Lappan-Turm beispielsweise neben dem fortgeführten und in „Kaiserhof“ umbenannten Hotel, dem Restaurant und der Gartenwirtschaft Ende 1891 auch ein Wiener Café eingerichtet. Vermutlich befand es sich im kleineren Gebäudeteil zum Heiligengeistwall hin. Die Geschichte des späteren „Café Central", das die Oldenburger Bevölkerung noch heute wohl am ehesten mit dem Wiener Kaffeehausstil in Verbindung bringt, setzt da allerdings erst rund dreißig Jahre nach Haslindes Umbau ein. Die Säulen und Stützbögen des großen Saals an der Wallstraße, die zu dem Eindruck beitragen mögen und tatsächlich entfernt an das gleichnamige berühmte Lokal in der Herrengasse im ersten Gemeindebezirk Wiens erinnern, gab es jedoch bereits zur Zeit der Nutzung als Restaurant.
Trotz dieser frühen Versuche titelte das Jeversche Wochenblatt am 22. September 1895: „Ein Wiener Cafe [sic] in Oldenburg! Das ist das Neueste, was uns bevorsteht.“ Diese Nachricht bezog sich auf ein Geschäftshaus in der Achternstraße 48, das für eine jährliche Pacht von 6.000 Mark auf 10 Jahre an einen Oberkellner in Bremerhaven vermietet wurde. Dieser hatte die Idee zum Café. Für die Umgestaltung war der Bauunternehmer Spieske zuständig, die Maler- und Dekorarbeiten führte Hoftheatermaler Mohrmann aus. Eröffnet wurde das Lokal unter dem zu diesem Zeitpunkt bereits prominenten Namen „Café Bauer“. Das war ein klarer Verweis auf den Wiener Cafetier Mathias Bauer, dem Gründer des berühmten gleichnamigen Cafés in Berlin Unter den Linden. Wie in einigen anderen deutschen Städten sollten durch die Namensgebung womöglich gezielt Gäste angelockt werden. Der lokalen Tagespresse galt das neue Café bemerkenswerterweise als erstes und bis dahin einziges Kaffeehaus nach Wiener Art in Oldenburg. Die Leitung wechselte im Laufe der nächsten Jahre mehrfach, bis sich ein gewisser Karl Kölkebeck Anfang 1903 für die Umwandlung des Ortes in ein Japanisches Teehaus entschied. Doch aus diesen Plänen wurde nichts, denn der Cafébetreiber Heinrich Krey führte das Café für kurze Zeit weiter – wohlgemerkt unter dem Namen „Café Central" – und etablierte es als Veranstaltungsort für größere Konzerte.
Wien als Marke
Krey war es dann auch, der 1907 in die Räume der bereits erwähnten Lange Straße 90 auf der Seite Heiligengeistwall wechselte und diese als Wiener Café nutzte. Unklar ist, ob er das bereits frühere Wiener Kaffeehaus einfach fortführte oder ob es eine Unterbrechung und damit Neueröffnung gab. Tag und Nacht geöffnet, wurde das Café auch bald unter seinem eigenen Namen bekannt. Es bestand bis Anfang 1923 und damit einen Moment lang parallel zum großen „Café Central“. Anhand einer Inventarliste, die im Zuge der Auflösung und dem öffentlichen Verkauf der Einrichtung des „Café Krey“ in den Oldenburger Tageszeitungen abgedruckt wurde, können typische Wiener Kaffeehausmerkmale abgelesen werden. Von Wirtschafts- und Marmortischen, Sofas, Wiener Stühlen, Spiegeln, Billardtischen, Kuchentellern, Tabletts, Kaffeekannen und -tassen, aber eben auch Sekt-, Bier- und Weingläsern ist da die Rede. Die für Wien üblichen langen Öffnungszeiten und die gastronomische Kombination aus Café und Gaststätte mit Bier- und Weinausschank war etwas durchaus Neuartiges im Deutschen Kaiserreich.
Die neuen Kaffeehäuser mit Wien-Bezug und entsprechendem Interieur gab es ebenso zum Beispiel auf Borkum oder in Jever, Wilhelmshaven-Rüstringen, Varel, Zwischenahn und vor allem Bremen. Selbst als Jahrmarktstände oder vorübergehende Attraktionen bei öffentlichen Festen sind sie nachweisbar. Diese Lokale sollten wie ihre Wiener Vorbilder bürgerliche Geselligkeits-, Lese-, Spiel- und Begegnungsorte, nicht zuletzt auch Bühnen für die Kunst sein. Das belegt, wie sehr „Wien“ und das „Wiener Café“ bereits im späten 19. Jahrhundert auch in Nordwestdeutschland als Marken für Kaffeekultur und Konditoreihandwerk, vielleicht sogar als Sehnsuchtsorte fungierten, die einen weiten Assoziationsraum aufspannten.
Auf diese Symbolik konnten sich auch noch Jahrzehnte später Betriebe wie die „Wiener Konditorei“ und das „Café Klinge“ berufen. Mit der durch Konditormeister Christian Klinge und seine Ehefrau Jutta fortgesetzten Pralinen- und Schokoladenherstellung und der vertrauensvollen Übernahme der Rezepte, die Hans Janßen einst von Josef Heinz erhalten hatte, lebt die Wiener Kaffeehauskultur und -geschichte der Stadt Oldenburg zumindest ein Stück weit fort.
Text: Tom Wappler