Eversten Moor

We need Moor!

 

Das im Westen Oldenburgs gelegene Naturgebiet war einst Bestandteil einer riesigen Moorlandschaft zwischen Ems und Weser. Diese bildete keine gänzlich geschlossene Fläche, sondern setzte sich aus verschiedenen großen Moorkomplexen zusammen. Das Große Wildenlohsmoor, zu welchem das Everstenmoor als Teilgebiet gehört, ist solch ein Komplex. Die Stadt Oldenburg wurde mitten hinein in diese unwegsame Moorlandschaft erbaut. Durch jahrhundertelangen Torfabbau und landwirtschaftliche Nutzung ist heute nur noch ein winziger Bereich des Everstenmoores im unberührten Naturzustand erhalten. Seit 1990 ist es als Naturschutzgebiet (NSG OL-S 2 I) ausgewiesen und mittlerweile auch als Flora-Fauna-Habitat (FFH-Gebiet 239), einem besonders schützenswerten Lebensraum für gefährdete Pflanzen und Tiere und für biologische Vielfalt. Ziel ist es, diesen zu bewahren und das umliegende Gebiet wieder in einen möglichst naturnahen Zustand zu bringen.

Kleiner Exkurs: Die Hoch- und Niedermoore Deutschlands und vor allem in Niedersachsen entstanden nach der letzten Eiszeit vor ungefähr 10 000 Jahren. In Wäldern und Gebieten, in denen der Grundwasserspiegel stieg und Wasser nicht versickern konnte, vernässten die Böden zusehends, Niedermoore entstanden. In ihnen finden sich in der tiefliegenden Torfschicht noch einzelne Baumstämme als Reste der ursprünglichen Bewaldung. Aus einigen Niedermooren erwuchsen Hochmoore, indem vermehrter Niederschlag das Wachstum der Torfmoose begünstigte. Abgestorbene Moose wurden über einen Jahrtausende dauernden Zeitraum zu Torf verdichtet, das Moor stieg langsam aber stetig in die Höhe. Weiter oben liegende, jüngere Torfschichten werden als Weißtorf bezeichnet, die dunkleren und älteren Schichten in der Tiefe als Schwarztorf. Je höher die Torfschicht ist, desto „mächtiger“ ist das Moor.

Da Oldenburg mitten in einer Moorlandschaft errichtet wurde, erstreckten sich vor den Stadtmauern in alle Richtungen Moore und Sümpfe. Das Everstenmoor erfuhr eine erste schriftliche Erwähnung im Jahr 1375 mit dem Verkauf der Haarenmühle der Familie von Eversen an die Stadt Oldenburg. Zusammen mit der Mühle wurde auch ein Stück „mor“ übereignet. Dies war wahrscheinlich ein kleiner Bereich des Moores, den die Familie nutzbar gemacht hatte. Das „Mohr vor den Everster Thor“ bezeichnete das gesamte Gebiet jenseits des Pulverturms, da das Eversten Tor im 16. Jahrhundert ursprünglich neben dem Pulverturm erbaut worden war. Es reichte bis zum Waldgebiet Wildenloh im Westen der Stadt, welcher sich wiederum bis zum Ort Klein Scharrel erstreckte. Ein Teil des Waldes versank im Wildenlohsmoor. Die nördliche Grenze bildete die Haaren (heute bereits der Bloherfelder Wasserzug) und im Süden der heutige Küstenkanal. Das Everstenmoor bildete eine etwa 800 ha große Fläche und maß an manchen Stellen eine Mächtigkeit von 10 m. In unserer Zeit würde es unter anderem den ganzen Stadtteil Eversten mit nur wenigen Ausnahmen wie dem Eversten Holz umfassen.

Die heutige Gartenstraße war ehemals ein Privatweg der Adelsfamilie von Eversen von und zur Stadt, aber mehr schlecht als recht befestigt. Daran schloss sich unwegsames Gelände an, weshalb sich eine Moordurchquerung lange Zeit als sehr gefährlich bis unmöglich darstellte. Dieser bedrohliche und menschenfeindliche Lebensraum wurde auch in Oldenburg in der ein oder anderen Sage verewigt.

Schon früh wurde die Bedeutung des Torfes als Brennmaterial erkannt, was sich auch in der Benennung „torfmor to Everse“ von 1428 widerspiegelt. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurden Randgebiete des Moors im Norden und Osten in Parzellen, sogenannte Distrikte, aufgeteilt und von den städtischen Eigentümern für privaten Torfabbau genutzt. Diese Zuweisung wurde für die Abgabe des „Zehnten“, dem Vorgänger der heutigen Steuer, in einem Moorregister erfasst. Einige Straßen erinnern noch heute an die historischen Bezeichnungen einiger Bereiche, wie beispielsweise der Marschweg = „Über der Marsch“, Osterkampsweg = „Achter Otzen Kampe“ oder Ahlkenweg = „Ahlkes Moor“. Daran angrenzend entwickelten sich mit der Zeit Moorstraßen genannte Übergänge aus dem Everstenmoor in die Stadt. Hier wären die später umbenannte Blücherstraße, die Zieten- und die Gneisenaustraße zu nennen. Bemerkenswerterweise führten diese Wege zum Haarentor und nicht zum Everstentor, da nur das Haarentor für die mit Torf beladenen Wagen passierbar war. Für die Durchquerung des Moores konnten auf dem morastigen Untergrund nur wenige Pfade angelegt werden. Heute heißen diese Ansgariustiergartenweg und Sandfurter Weg.

Das fruchtbare Land in den östlichen Ausläufern des Moores (Marschland) wurde bevorzugt als Weidefläche genutzt. So wurde das Gebiet westlich des Marschweges auch als Everstenmarsch bezeichnet. Ab 1700 siedelten erste Menschen im heute westlich der Autobahn gelegenen Gebiet. Sie verdienten ihren Lebensunterhalt mit dem Abbau und der Lieferung von Torf in die Stadt Oldenburg. Die Städter wiederum gaben diese anstrengenden Arbeiten nur zu gerne auf und ließen sich von den Siedlern aus Eversten beliefern. Der Torf wurde von den Arbeiter:innen ausschließlich in Schwerstarbeit per Hand im Handtorfstichverfahren gegraben, dazu kam noch der anstrengende Weg ins Moor und zurück. Trotzdem erhielten die Familien nur einen Hungerlohn und lebten in Armut.

1843 erfolgte eine erste großflächige Kartierung des Stadtgebiets und der zugehörenden Flächen, so auch der Moorgebiete. In der angefertigten Karte wurden sogar die unterschiedlichen Bodenverhältnisse festgehalten. Neben dem Torfabbau und der Viehhaltung wurden einige Gebiete auch kurze Zeit für den Buchweizenanbau genutzt. Für den Anbau brannte man mittels Brandkultur die oberste Moorschicht nieder und brachte anschließend in der Asche die Saat aus. Die stinkenden Rauchschwaden zogen teilweise über die ganze Stadt hinweg, weshalb diese Form der Kultivierung schnell wieder fallen gelassen wurde.

Eine große Veränderung brachte der Bau des Hunte-Ems-Kanals (1855-1893) mit sich: Größere Flächen des Moors wurden mittels Gräben entwässert und durch Rohrsysteme trockengelegt, um diese für weitreichenden Torfabbau oder Landwirtschaft zu nutzen. Mit dem Bau der Wasserstraße einhergehend wurde das Moor zu beiden Seiten des Kanals in Moorkolonate aufgeteilt und dort Arbeiter:innen angesiedelt. Die so entstandenen Orte bekamen im Namen die typische Endung „-fehn“, abgeleitet vom niederländischen „veen“ für Moor. Damit begann nun auch im Süden des Everstenmoores der Torfabbau, parallel dazu weiterhin im Norden und Osten durch die ansässigen Bauern von Eversten und Bloh. Eine weitere Verbesserung stellte der Hunte-Ems-Kanal in Bezug auf die Transportwege dar: Torf konnte nun auch über den Wasserweg in die Stadt zum Verkauf transportiert werden, nicht mehr nur über die unzulänglichen Straßen.

Bereits in den 1870er Jahren gab es Versuche der maschinellen Torfgrabung. Ab 1880 siedelten sich im südwestlichen Teil des Everstenmoores Fabriken an, die den Torf ab 1880 abbauten und verwerteten. Allerdings kamen kaum größere Maschinen zum Einsatz, da die Technologie bei weitem noch nicht ausgereift war. Spätestens in den 1940er Jahren beendete die letzte Fabrik ihre Produktion. Während der zwei Weltkriege nahm der private Torfabbau zunehmend ab, da mit Kohle ein vermeintlich günstigerer Brennstoff gefunden worden war. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, als auch Kohle schwer zu bekommen war, flammte der Abbau kurzzeitig wieder auf. Die Stadtbevölkerung Oldenburgs versuchte bis in die 50er Jahre eigenhändig in ungeübter Weise Torf zu stechen, um Material zum Heizen zu bekommen und damit ihre Familien versorgen zu können. Mit den 60er Jahren kam der Torfabbau letztendlich zum Erliegen.

Von den ursprünglichen etwa 800 ha Moorfläche des Everstenmoores sind heute nur noch knapp 80 ha unkultiviertes Hochmoor übriggeblieben. Hier haben sich verschiedene gefährdete Pflanzen- und Tierarten wie Königsfarn, Sonnentau oder Kreuzotter angesiedelt. In das Naturschutzgebiet wurden neben diesem Rest noch die umliegenden Moorwiesen (Hochmoorgrünland) in den Naturschutz aufgenommen. Der Großteil dieser Fläche ist aufgrund der Entwässerung allerdings stark nachhaltig geschädigt (degradiert) und zu trocken. Um dieses wichtige Naturgebiet zu erhalten oder sogar neu aufleben zu lassen, bedarf es drei wichtiger Schritte: Wiedervernässung, Renaturierung und Hochmoorregeneration. Aktuell befindet sich das Everstenmoor im Stadium der Wiedervernässung. Die eingezogenen Entwässerungsgräben und Drainagen werden entfernt, um das Wasser wieder besser im Moor halten zu können und damit das Wachstum der Torfmoose anzuregen, welche ein sehr feuchtes Milieu benötigen. „Landunter“ begünstigt also die Erholung und Entfaltung von Mooren. Apropos „Landunter“ – intakte (naturbelassene) Moore funktionieren wie natürliche Schwämme. Eine intakte Torfschicht kann extrem viel Wasser aufnehmen und auch die Torfmoose, tragen dazu bei viel Wasser zurückzuhalten. Somit sind Moore durch ihre enorme Aufnahmekapazität ideale Rückhalteflächen bei Starkregen und Überschwemmungen. Nicht zuletzt hat das vergangene Hochwasser gezeigt, dass solche Ausweichflächen unabdingbar sind. Neben zahlreichen anderen Funktionen ist dies ein weiterer Grund Moore zu erhalten und zu schützen. Durch das kürzlich von der EU beschlossene Renaturierungsgesetz sind Wiederherstellung und Schutz der Moore nun auch Staatssache. Je mehr für Natur und Umwelt getan werden kann, desto besser.

 

Text: Katharina Kolczok