Kaserne Donnerschwee

Der Stein des Anstoßes

 

Seit 2014 wird das Gelände der ehemaligen Kaserne Donnerschwee zu einem inklusiven Wohnquartier umgebaut. Die ehemalige Kaserne verwandelte sich Stück für Stück und neben dem Einzug verschiedener Einrichtungen und Wohnprojekte veränderte sich auch die Nutzung des öffentlichen Raums. Unabhängig von individuellen Fähigkeiten, der körperlichen Verfassung, sozialer und kultureller Herkunft, der Lebensform, des Geschlechtes oder des Alters sollen Menschen in Neu-Donnerschwee an gemeinschaftlichem Wohnen und Leben teilhaben.

Bei Aushubarbeiten für einen Kinderspielplatz wurde im Jahr 2015 in ca. 80 cm Tiefe ein massiver Stein gefunden. Dieser stellte sich als der Gedenkstein heraus, welcher 1898 auf dem Kasernengelände aufgestellt wurde, um  an einen Besuch von Kaiser Wilhelm I. im Jahre 1869 zu erinnern. Die Stadt Oldenburg entschied sich, den Gedenkstein zu  restaurieren und stellte ihn als historisches Dokument zusammen mit einer Informationstafel 2018 dort wieder auf, wo man ihn drei Jahre zuvor gefunden hatte.

Rund zwei Jahre später wurden in wiederkehrenden Berichterstattungen der Nordwest-Zeitung Meinungen aus der Bevölkerung thematisiert, welche den Gedenkstein selbst und seinen Standort im Quartier Neu-Donnerschwee kritisierten. Die Kritikpunkte umfassten die Person Kaiser Wilhelm I.,  beziehungsweise die Themen, welche er repräsentiert und die Lage des Gedenksteins. Dieser befindet sich nämlich am Rande eines Spielplatzes, der darüber hinaus auf einem Platz liegt, der 2015 den Namen „Anne-Frank-Platz“ erhielt. Das Zusammenspiel der Würdigung der von den Nationalsozialisten Ermordeten und des Vorhandenseins des Gedenksteins für Kaiser Wilhelm löste eine Debatte aus, ob zwei so unterschiedliche Erinnerungsorte an  gleicher Stelle, auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne möglich sind.

Der Gedenkstein

Der Gedenkstein erinnert an einen Truppenbesuch Kaiser Wilhelm I.am 16. Juni 1869. Er wurde am 4. September 1898 durch die Oldenburger Kriegervereine aufgestellt. Allein die Tatsache, des im oldenburgischen und weltpolitischen Zusammenhang eher unbedeutenden Ereignisses, wirft die Frage auf, warum 29 Jahre später durch einen sehr mitgliederstarken Verband eine Gedenksteinlegung in großem Ausmaße erfolgte. Wochenlang wurden im Vorfeld der Einweihung täglich Anzeigen in der Presse geschaltet. Die Einweihung selbst erfolgte mit Parade und Musikkapelle vom Pferdemarkt bis Donnerschwee.

Nach dem Tod von Wilhelm I. war eine Glorifizierung des Gründerkaisers u.a. durch seinen Nachfolger und Enkel Wilhelm II. vorangetrieben worden, was sich in der Errichtung von zahlreichen Denkmälern äußerte. 1896 war eines der größten dieser Denkmäler, das über 80 Meter hohe Kyffhäuserdenkmal, zum Gedenken an Kaiser Wilhelm I. fertiggestellt worden. Dessen Bau war vom Deutschen Kriegerbund veranlasst und finanziert worden, woran sich auch der Oldenburger Kriegerbund beteiligt hatte. Mit der Aufstellung eines eigenen Gedenksteins wollte man auch in Oldenburg ein Denkmal im Rahmen lokaler Ereignisse für den Gründerkaiser schaffen.

Weg damit, stehenlassen, ins Museum, neue Informationen, neuer Standort?

Im Jahre 2015 fiel die bewusste Entscheidung, das Gedenken an Anne Frank im öffentlichen Raum der ehemaligen Kaserne Donnerschwee zu platzieren. Gemeinsam mit der Straße „Weiße Rose“ bilden diese erinnerungskulturellen Aspekte ein gezieltes, inhaltliches Spannungsverhältnis mit der noch deutlich sichtbaren Geschichte des heutigen Wohnquartiers. Vor diesem Hintergrund folgen die so gesetzten Erinnerungsfragmente einer schlüssigen Logik im Umgang mit Erinnerungskultur im öffentlichen Raum.

Dies bedeutet nicht, dass dieses Prinzip als Umgang eine allgemeine Zustimmung findet oder finden muss oder gar als „richtig“ im Gegensatz zu „falsch“ zu sehen ist. Dies wird auch weiterhin im Auge der Betrachtenden liegen und mit der damit verbundenen Perspektive. Das Prinzip als solches ist hier zunächst festzustellen, ungeachtet dessen, dass auch andere Prinzipien angelegt werden können. Der Gedenkstein platzte mit seiner Entdeckung ein wenig unvermittelt in diese neu geschaffene, erinnerungskulturelle Logik und die damit verbundene Diskussion.  Die verschiedenen Meinungen haben durchaus ihre Berechtigung. Ob der Stein nun abtransportiert wird, ein neuer Standort in Neu-Donnerschwee gefunden wird, ob dieser neu kontextualisiert wird oder seinen Standort behält, ist offen. Entscheidend sind aber letztlich die Qualität der Diskussion, welche einer Entscheidung vorangeht und die Logik des erinnerungskulturellen Prinzips, das dieser Entscheidung folgt.

Text: Dr. Steffen Wiegmann