Dobbenwiese

Über einen Menschenzoo

 

Die koloniale Annexion von großen Teilen der Welt durch europäische Großmächte im 19. und 20. Jahrhundert gehört zweifellos zu den dunkelsten Epochen der neuzeitlichen Geschichte. Die Gründe, weshalb sich die kolonisierenden Länder auf brutale Weise die Herrschaft in weiten Teilen Afrikas, Asiens und Amerikas sicherten, sind ebenso vielfältig wie eng miteinander verknüpft. Politischer Geltungsdrang, imperialistisches Wettrennen mit anderen Staaten, nationalistische Interessen, pseudowissenschaftliche und rassistische Theorien oder der Glaube an die Notwendigkeit einer christlichen Missionierung – all dies bereitete den Boden für Jahrzehnte des Leids, des Todes und des Verderbens. Die Mittel waren Genozide, Landraub, Entzug und Zerstörung der Lebensgrundlagen der Bevölkerung vor Ort, Sklaverei, Folter und Mord. Die Nachwirkungen dieser Verbrechen sind bis heute spürbar, an vielen Stellen existieren klare Kontinuitäten. Noch immer warten die Hinterbliebenen von Betroffenen auf eine umfassende Aufarbeitung der Gräueltaten durch die Europäer:innen.

Als „fremd“ und „andersartig“ deklariert galten kolonisierte Gruppierungen als Menschen zweiter Klasse, deren „barbarische“ Existenz mit angeblichen Zivilisierungsmaßnahmen beseitigt werden musste, zur Not mit Gewalt. Die krude These „rassischer“ Überlegenheit weißer Menschen spielte dabei eine zentrale Rolle.

Um der einheimischen Bevölkerung in Europa die vermeintliche Rückständigkeit und Unterlegenheit nicht-weißer und indigener Personengruppen demonstrieren zu können, wurde das Konzept der „Völkerschau“ entwickelt. Von der Reichsgründung 1871 bis in die 1930er Jahre fanden in Deutschland etwa 400 Völkerschauen statt. Jede Schau folgte einer ähnlichen Inszenierung: Menschen sollten wie in einem Zoo zur Schau gestellt werden und in stereotypischen Verhaltensmustern auftreten. Dabei wurden bei Besucher:innen bereits verankerte Klischees aktiviert und im Verlauf der Vorstellung bestätigt.

Auch in Oldenburg gab es eine solche Völkerschau. Im Jahr 1905 fand auf der Dobbenwiese eine der zu dieser Zeit üblichen Landesausstellungen statt. Auf dieser Ausstellung wurden regionale Industrie- und Gewerbeprodukte präsentiert. Neben diversen Konsum- und Freizeitangeboten, beispielsweise Sportstätten, verschiedenen gastronomischen Angeboten und einem Vergnügungspark, warteten die Veranstalter:innen mit einer Darbietung auf, die sich als regelrechter Publikumsmagnet erweisen sollte: dem sogenannten „Somali-Dorf“. Bereits 1904 wurde der Plan gefasst, auf der Landesausstellung „eine exotische Volkstruppe“ auszustellen: 65 Männer, Frauen und Kinder aus Ägypten, Dschibuti und Somalia sowie Abessinien – dem Gebiet der heutigen Staaten Äthiopien und Eritrea. Ihr einziger Zweck war es, den Besucher:innen ein als authentisch angepriesenes „afrikanisches“ Leben vorzuführen.

Obwohl die zur Schau gestellten Personen aus einem Gebiet kamen, das so fünfmal so groß ist wie das heutige Deutschland, hatten die Initiator:innen keinerlei Interesse an einem differenzierten Blick. Stattdessen stellten sie die Menschen als Bewohner:innen eines abessinischen Dorfes dar. Das alleinige Ziel des Unterfangens war der kommerzielle Erfolg. Dafür mussten drei Kategorien erfüllt sein: Zum einen bedienten sie bestehende Klischees – zeigten also die Menschen so, wie es die Zuschauer:innen erwarteten. Zum anderen verknüpften sie diese Klischees mit der Lebenswelt des Publikums, um Authentizität zu erzeugen. Hierbei ging es zum Beispiel darum, die „Wilden“ als Teil einer Familie zu zeigen. Durch die Verknüpfung mit der eigenen Lebenswelt wurde es den Zuschauer:innen ermöglicht, das Bekannte mit dem Fremden zu vergleichen. Das dritte Element, eine Hochzeitsfeier, sollte schließlich den Höhepunkt der Inszenierung markieren und die Schau zu einem großen und publikumswirksamen Spektakel werden lassen.

Die Rechnung ging auf: Insgesamt rund 150.000 Menschen besuchten die Völkerschau und sahen den auftretenden Personen dabei zu, wie sie Tänze aufführten oder handwerkliche Techniken, Schaukämpfe und Speerwürfe präsentierten. Dabei war die Hochzeit das besondere Vorstellungs-Highlight.

Neben den angeblich wirklichkeitsgetreuen Hütten, in denen die verkleideten Personen untergebracht waren, einer Dorfschule, einer Moschee und einer Küche gab es einen Basar mit Kunsthandwerk, das die ausgestellten Personen angefertigt hatten und für die Besucher:innen zum Verkauf stand.

Das Somali-Dorf blieb bis zum 15. September 1905 in Oldenburg bestehen, ehe es zur nächsten Schau weiterzog.

Bereits lange vor 1905 lebten schwarze Menschen in Deutschland und verstanden sich als Teil der hiesigen Gesellschaft. Gleichzeitig war eine weiße Mehrheit nicht im Geringsten daran interessiert, sie als solche zu akzeptieren und verfestigte stattdessen Vorstellungen, die oftmals einem Tier näher waren als einem Menschen. Erst ab etwa Mitte des 20. Jahrhunderts verschwanden die Völkerschauen aus dem öffentlichen Leben fast vollständig. Grund dafür war nicht das mangelnde Interesse an stereotyper Darstellung von Menschen oder exotisierenden Bildern. Vielmehr konnte der Spielfilm diesem Bedarf inzwischen viel besser und allgemein zugänglicher nachkommen. 

 

Text: Alexander Duschek