Betonplastik Vier Pferde

Giraffen, Gäule & Gekeife

 

Seit dem Mittelalter wurde auf dem Weidegelände vor dem Oldenburger Heiligengeisttor mit Pferden gehandelt. 1681 hatte sich das Gelände bereits als „Marktplatz vor Oldenburg“ etabliert, das 1803 auf Anweisung von Herzog Peter Friedrich Ludwig dann seine gegenwärtige Form erhielt. Das klassizistische Gebäude am heutigen Pferdemarkt 12 wurde im Jahr 1837 von Heinrich Strack dem Älteren als Militärschule gebaut, die nach diversen Nutzungen ab 1925 den Pferdezüchterverband beherbergte. Die jährlich stattfindenden Hengstkörungen auf dem Pferdemarkt waren ein Publikumsmagnet wie das Bild von Bernhard Winter zeigt.

Als Oldenburg zu einer Großstadt wurde, wandelte sich der historische Pferdemarkt in den Jahren 1963 bis 1967 radikal. Rund um den Platz wurden nicht nur Straßen und Parkplätze angelegt, sondern 1967 auch die Hochbrücke der Bahn in Betrieb genommen, so dass ein moderner Verkehrsknotenpunkt entstand. Der neue Pferdemarkt sollte bildhaft mit einem Kunstwerk hervorgehoben werden, das zugleich die lange Pferdetradition als auch den modernen Ort symbolisieren sollte. Die beiden Oldenburger Firmen Hecker und Stefen, die am Ausbau des Pferdemarkts beteiligt waren, stellten für diesen Zweck eine Spende zur Verfügung. Im Rahmen eines kleinen Wettbewerbs wurden vier regionale Künstler:innen aufgefordert, Entwürfe einzusenden. Die Wahl unter den eingereichten Arbeiten war schwierig, eine Jury der Stadt und Vertreter der beiden Spenderfirmen entschieden sich schließlich für das Werk des Künstlers Heinrich Schwarz (1903-1977) aus Steinkimmen.

Heinrich Schwarz, der 1903 in Berlin geboren wurde, war Jurist, Bildhauer, Maler und Grafiker. Bereits 1924 trat er in die Berliner Künstlergruppe „Sezession“ ein und arbeite dort mit Künstlern wie Otto Dix, Wassily Kandinsky, Georg Kolbe, Karl Schmidt-Rottluff und Gerhard Marcks zusammen. Nach 1948 ließ sich der vom Krieg gezeichnete und schwer an Tuberkulose erkrankte Heinrich Schwarz als freier Künstler im Landkreis Oldenburg nieder. Eine Berufung zum Professor an die Berliner Kunsthochschule musste er aufgrund seiner Erkrankung ablehnen, er wurde jedoch Vorstandsmitglied des Bundes Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) Nordwestdeutschlands und des BBK Oldenburg. Er nahm an zahlreichen Ausstellungen teil und schuf ab 1960 zahlreiche außerordentliche Reliefs, Wandgestaltungen und Skulpturen, die er über Wettbewerbserfolge erhielt.

 

In Oldenburg diskutierten die Stifter und Entscheidungsträger der Verwaltung zwei Jahre lang über die Gestaltung und den Standort des Kunstwerks von Heinrich Schwarz. Was der Bildhauer konzipiert hatte, war ungewöhnlich modern und monumental: eine 4,5 Meter hohe und 25 Tonnen schwere Plastik aus Beton, die aus vier abstrahierten Pferden bestand, die in alle Richtungen blickten. Das Werk war aus mehreren Einzelteilen gegossen und aus sich durchdringenden Betonscheiben ineinandergesteckt. Die Abdrücke der Verschalungen des einst flüssigen Betons gaben dem Werk eine lineare Strenge und auf den einzelnen Betonteilen zeichneten sich die rauen Strukturen des Materials ab. Im Januar 1970 stimmten die städtischen Gremien, der Bauausschuss, der Verwaltungsausschuss und der Kulturausschuss der Annahme und Aufstellung mit großer Mehrheit zu. Die Öffentlichkeit erfuhr erst am 16. April 1970 aus der Oldenburger Zeitung, dass die Plastik am Pferdemarkt einen Tag später aufgestellt werden sollte.

Die Oldenburger Bürger:innen fühlten sich vor vollendete Tatsachen gestellt und es entbrannte ein heftiger Kulturstreit um das geschenkte Kunstwerk. Während einige Gegner der Betonplastik die mangelnde Bürgerbeteiligung beklagten, äußerten sich andere diffamierend über deren künstlerische Gestaltung. Immer wieder wurde hinterfragt, warum die Wahl nicht auf ein naturalistisches Pferd, aus einem anderen Material gefallen war, das in den Augen vieler Bürger:innen mehr Zuspruch erhalten hätte: „Das sind doch Betongiraffen und keine Pferde.“ Wiederholt wurde das Kunstwerk mit Farbe beschmiert und auf einem Protestbanner war sogar zu lesen: „Hier baut die Stadt Oldenburg das Pissoir zu den Pferden“. Es dauerte Wochen bis sich die Empörung gelegt hatte. Auch Heinrich Schwarz nahm Stellung und äußerte sich in einem Interview, dass er für die Kritik der Pferdefreunde volles Verständnis habe, da er selbst ein passionierter Natur- und Pferdefreund sei: „Ich kann verstehen, dass die Leute bei der Beurteilung der Plastik rein künstlerische Fragen außer Acht lassen. Ich beherrsche die Natur tatsächlich und kenne zum Beispiel das Pferd so genau, dass ich es Ihnen jederzeit aus jeder Sicht und in jeder Stellung zeichnen könnte. Für die Umsetzung waren jedoch nicht nur künstlerische, sondern auch städtebauliche Gründe entscheidend, um die Relationen zur Größe des Platzes mit der Bahnbrücke herzustellen.“

Aus heutiger Sicht lässt sich sagen, dass Heinrich Schwarz eine avantgardistische Plastik geschaffen hat. Wie kaum ein anderer Künstler hat er die Variationsbreite von Materialien kongenial für seine plastische Gestaltung zu einem architektonischen Gesamtkunstwerk genutzt, womit er regional und international Bekanntheit erlangte. In den 1950er und 1960er Jahren galt Beton als Inbegriff der Moderne. Die expressive Verwendung in der Architektur und Kunst galt als Rebellion gegen die konventionellen Materialien wie Bronze und Stein. Zusammen mit der kubistisch-abstrakten Formsprache der „Vier Pferde“ erzielte Heinrich Schwarz eine radikal ästhetische Wirkung, die in Oldenburg bis dahin etwas völlig Neues war. Kunstwissenschaftlich gesehen, steht seine Pferdeplastik im Kontext zu berühmten Werken der Klassischen Moderne wie der „Turm der blauen Pferde“ von Franz Marc oder die archaischen Bronzepferde von Marino Marini. Eine besondere Nähe ist jedoch zu Pablo Picassos berühmten Gemälde „Guernica“ (1937) festzustellen. Der Farblinolschnitt „Attische Pferde“ von Heinrich Schwarz aus dem Jahr 1955 weist eine spannende Analogie zu Picassos Pferdemotiv auf, was seine Vorliebe für die kubistische Formsprache unterstreicht.

Ab 1978 gelang durch Kultursommer, Symposien und Ausstellungen im öffentlichen Raum der Annäherungsprozess der Bürger:innen zur zeitgenössischen bildenden Kunst. Künstler:innen, Akteure und Publikum kamen dabei nicht nur miteinander ins Gespräch, sondern tauschten sich auch kreativ in Mitmachaktionen aus. Bis heute nimmt die monumentale Betonplastik „Vier Pferde“ von Heinrich Schwarz einen einzigartigen Stellenwert im Stadtbild von Oldenburg ein, die immer noch als Plattform für aktuelle Protestaktionen genutzt wird.

Text: Dr. Sabine Isensee