Alte Justizvollzugsanstalt

Check-In im „Hotel zur Hunte“

 

„Sollte ein Gefängnis nicht der Abschreckung dienen? Muss denn auch gleich ein Tennisplatz gebaut werden?“ So lautete ein empörter Leser:innenbrief, der im Jahr 2000 rund um die Eröffnung der neuen Justizvollzugsanstalt (JVA) in der Nordwest-Zeitung abgedruckt wurde. In der Tat wurde der Bau der geplanten Tennisanlage in der Gefängnisanstalt an der Cloppenburger Straße schlussendlich nie umgesetzt. Jedoch offenbart die Debatte dahinter eine tiefer liegende Überzeugung, die mit einer weit verbreiteten gesellschaftlichen Stigmatisierung von Straftäter:innen einhergeht: Verurteilten Gefängnisinsass:innen sollen Ansprüche auf Annehmlichkeiten als Teil ihrer Bestrafung verwehrt bleiben. Oder um es provokanter zu formulieren: Zur Verbüßung der Haftstrafe erscheint vielen das Bild eines isolierten Sträflings in einem Kerker passender als eine Strafanstalt, die mit Inhaftierten nachhaltig an deren späteren Lebensgrundlage in Freiheit arbeitet.

Ein Blick auf die Ausstattung der alten JVA am Schlossgarten – in der Öffentlichkeit oft zynisch als „Hotel zur Hunte“ bezeichnet – zeigt, dass den Inhaftierten tatsächlich lange Zeit jedweder Komfort verwehrt blieb. Die Zellenausstattung war auf das Nötigste reduziert. Eine gesetzliche Regelung, die es den Gefangenen ermöglichte, ihre Zelle mit persönlichen Gegenständen zu versehen, kam erst 1977.

Zu Beginn ihrer Inbetriebnahme im Jahr 1858 war die JVA in der Gerichtsstraße eine Vorzeigeeinrichtung und galt lange Zeit als äußerst modernes „Gefangenenhaus“. Nachdem sich seit den 1840er Jahren die Beschwerden über die desolaten Zustände rund um das bisherige Gefangenenhaus am Waffenplatz häuften, wurde die Möglichkeit eines Neubaus geprüft. Schließlich entstand unter dem Architekten Heinrich Strack, der auch für den Entwurf des Peter Friedrich Ludwig-Hospitals verantwortlich war, der von außen einfach wirkende, aber innen repräsentativ gestaltete Backsteinbau. Mit 55 Zellen für Männer und sieben Zellen für Frauen entsprach er der damaligen Überzeugung, auch in der Haft eine strikte Trennung der Geschlechter vorzunehmen. Vor Ort gab es eine zentrale Warmwasseranlage und Badezimmer, die Zellen ließen sich sowohl beheizen als auch über ein Kanalsystem lüften.

Bis in die 1880er Jahre verbüßten neben Untersuchungsgefangenen vor allem Personen mit kurzer Haftdauer ihre Strafe in der JVA. Mit der darauffolgenden Verlängerung der Haftstrafen wurde erneut Kritik am akuter werdenden Platzmangel laut. Dies veranlasste die Gefängnisleitung, Pläne zum Ausbau des Gebäudes zu verfassen und umzusetzen. Die gesetzten Ideale von Einzelhaft und der Trennung bestimmter Inhaftierter waren allerdings auch weiterhin aus Gründen der Platznot kaum realisierbar. Der Anspruch nach einer effizienten und gleichzeitigen Überwachung aller Gefangener und somit nach gesicherten Machtverhältnissen ließ sich baulich nie verwirklichen.

Die Delikte, wofür die Inhaftierten eine Gefängnisstrafe erhielten, waren vor allem seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts immer ein Spiegel der jeweiligen sozialen Umstände. Während im preußisch geprägten Herzogtum viele Personen wegen sogenannter „Sittlichkeitsverbrechen“ in Untersuchungshaft saßen, lautete nach dem Ersten Weltkrieg der Anklagepunkt überdurchschnittlich oft Diebstahl und Hehlerei. Zurückzuführen war dies auf die Nöte und Mängel, die den Alltag der Oldenburger:innen nach 1918 bestimmten.

Strafgesetzliche Reformen im Jahr 1919 führten in der Weimarer Republik zu einer Liberalisierung und Demokratisierung des Anklage- und Strafvollzugsprozesses. So war es Gefangenen von nun an möglich, anstatt wie bislang nur durch geistlichen Beistand nun von geschultem (beispielsweise psychologischem) Personal betreut zu werden. Die Justiz setzte ab sofort auch auf einen empathischeren Umgang mit den Strafgefangenen. Dies äußerte sich etwa in der Belohnung guter Führung durch gewisse Freiheiten und Vergünstigungen sowie der Etablierung einer Interessensvertretung der Inhaftierten.

Diese Errungenschaften im Strafvollzugswesen änderten sich mit der Machtübernahme der Nationalsozialist:innen dramatisch. Nicht nur mehrten sich ab 1933 die politischen Gefangenen in der JVA, auch die Bestrafungsmoral wurde im Nationalsozialismus deutlich härter. Vor allem die Häftlinge, die aus politischen und ideologischen Motiven in das Gefängnis gelangten, erfuhren rücksichtslose Disziplinierungsmaßnahmen und litten besonders unter den radikaler werdenden Gefängnis- und Sanktionsordnungen. Während in den 1930er Jahren Arbeit fast ausschließlich innerhalb der Gefängnismauern stattfand, wurden Inhaftierte während des Zweiten Weltkriegs auch zwangsweise an Außenarbeitsstellen eingesetzt. Ab 1941 arbeitete die Mehrzahl der Gefangenen an „kriegswichtigen“ Aufgaben – auf Baustellen, Äckern und in der Infrastruktur. In dieser Zeit dienten die inhaftierten Menschen vor allem als Ressource zur Erhaltung des NS-Regimes. Der erzieherische Gedanke geriet dabei so gut wie vollkommen in Vergessenheit. Für die 32 Männer, die 1938 aus der JVA in das KZ Sachsenhausen deportiert wurden, findet seit 1981 ein Erinnerungsgang statt, der in der Haftanstalt endet.

Ihren markanten Spitznamen „Hotel zur Hunte“ erhielt die JVA an der Gerichtsstraße ab 2001, als sie in eine Nebenabteilung der 2000 neu eröffneten JVA an der Cloppenburger Straße umgewandelt wurde. Obwohl das Gebäude in den Folgejahren immer wieder an neue bauliche und technische Anforderungen angepasst wurde, ließ sich eine Schließung letztendlich nicht mehr verhindern. Am 22. März 2013 verließen die letzten Gefangenen das Gebäude, ehe es endgültig seine Pforten schloss.

 

Text: Alexander Duschek