Tagesaufenthalt Ehnernstraße

Dach auf Zeit

 

Wohnungs- und Obdachlosigkeit hat es in Oldenburg und weltweit schon immer gegeben. Wie ihr Alltag aussah und wie die Gesellschaft mit ihnen umging, unterschied sich jedoch je nach historischem Kontext. Heute ist Obdachlosigkeit für schätzungsweise mehrere Dutzend Menschen in Oldenburg und ca. 263.000 Menschen in Deutschland alltägliche Realität. Wohnungslose Menschen verfügen über keinen mietvertraglich abgesicherten Wohnraum. Sie schlafen im Auto oder kommen bei Bekannten unter. Dies wird als verdeckte Wohnungslosigkeit bezeichnet. Obdachlosigkeit ist eine verschärfte Form, bei der eine Person keine feste Unterkunft hat und in Notunterkünften oder ausschließlich im Freien übernachtet. Die heutige Wohnungslosenhilfe in Oldenburg verfügt beispielsweise über eine Notschlafstelle, zwei Tagesaufenthalte, verschiedene Beratungsangebote und Fachkräfte. Auf der Grundlage des Sozialgesetzbuches haben Menschen in besonderen Lebensverhältnissen, wie z.B. bei Wohnungsverlust, Anspruch auf Wohnungslosenhilfe. Doch wie hat sich die Wohnungslosenhilfe historisch entwickelt?

Historische Entwicklung der Wohnungslosenhilfe in Oldenburg

Das erste Armenhaus in Oldenburg wird um 1350 erwähnt und befand sich neben der Heiligengeistkapelle in der Nähe des heutigen Lappan. Ein weiteres wurde 1581 von Graf Johann von Oldenburg gestiftet und hieß St. Gertrudh, später Getrudenhaus. Weitere Armenhäuser stiftete der Graf zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Neuenburg und Blankenburg. Zwischen 1764 und 1833 galt das gesamte Stadtgebiet um den Oldenburger Waffenplatz als Armenviertel, in dem sich das erste so genannte Stadtkrankenhaus Oldenburgs befand. Besonders in den Krisenzeiten des 19. Jahrhunderts wurden in Oldenburg mehrere Armenhäuser errichtet und betrieben.

Armenarbeitshaus Haarenschanze, Georgstraße 1

Die als fortschrittlich geltende Armenordnung von 1786 sah den Bau eines neuen, größeren Armenhauses vor. Erst 1820 wurden in der Stadt Armenbaracken in der heutigen Mottenstraße aufgestellt. 1823 setzte sich die für Oldenburg zuständige Spezialdirektion für den Bau eines festen Armenhauses ein. Unterstützt wurde sie dabei von Peter Friedrich Ludwig, der sich bereits mehrfach für einen Neubau außerhalb der Stadtmauern und die Errichtung eines Krankenhauses eingesetzt hatte. Das Armenhaus durfte auf der Haarenschanze errichtet werden, wurde 1825 fertiggestellt und bis zu seinem Abriss 1874 als Armenhaus genutzt. Auf dem Gelände wurde die heute noch bestehende Wallschule in der Georgstraße 1 errichtet.

Armenhaus, Schützenweg 9

Aus dem erneuten Bedarf an einem Armenhaus entwickelte sich der Plan, eine neue, möglichst große Anstalt außerhalb der Stadt zu bauen, wo Landwirtschaft in unmittelbarer Nähe möglich war. Nach sechsjähriger Planung wurde im August 1882 am heutigen Schützenweg 34 ein für die damalige Zeit modernes Armenhaus errichtet. Das dreigeschossige Gebäude sollte Platz für 40 Erwachsene und 60 Kinder bieten. Bis 1930 hieß das Haus „Haarenhof“, danach „Armenhaus am Schützenweg“. Zu diesem Zeitpunkt konnte es nicht mehr als zeitgemäß bezeichnet werden. Die sanitären Anlagen waren veraltet und von 1915 bis Mitte der 50er Jahre wurden keine Umbaumaßnahmen, wie z.B. technische oder räumliche Verbesserungen, durchgeführt. Im Zuge des Wirtschaftswunders der Nachkriegsjahre vertrat das Sozialamt die Auffassung, dass aufgrund der günstigen Arbeitsmarktsituation und des Ausbaus des sozialen Netzes Armen- und Arbeitshäuser überflüssig seien. Anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Heimes wurde festgestellt, dass es sich zu einem Alten- und Pflegeheim gewandelt hatte. Bauliche und organisatorische Veränderungen begannen erst 1956 und wurden 1961 abgeschlossen.

 

Tagesaufenthalt Ehnernstraße

In der Ehnernstraße befand sich ab 1941 eine Liegehalle, nach 1964 eine Kindertagesstätte, bis die Diakonie dort 1988 den Tagesaufenthalt für wohnungs- und obdachlose Menschen eröffnete. 35 Jahre lang nutzte die Diakonie Oldenburg das Gebäude, bis die Einrichtung im April 2023 in die Cloppenburgerstraße umzieht. Die Tagesaufenthalte sind tagsüber geöffnet und bieten Getränke, Mahlzeiten, die Möglichkeit zu duschen und Wäsche zu waschen. Sie sind Treffpunkte, an denen sich Menschen tagsüber aufhalten können. Derzeit wird das Haus in der Ehnernstraße umgebaut und saniert. Ende 2023 soll das Mädchenhaus aus der Alexanderstraße dort einziehen können.

 

Historische Entwicklung der Wohnungslosenhilfe in Deutschland

Bereits im Kaiserreich, Ende des 19. Jahrhunderts, wurde Obdachlosigkeit zu einem Massenphänomen. Die Lohnarbeit ohne soziale Absicherung setzte sich durch und viele Menschen zogen auf der Suche nach Arbeit vom Land in die Ballungszentren. Doch nicht immer gelang es, Arbeit und bezahlbaren Wohnraum zu finden. Bei der Reichsgründung 1871 herrschte in den Groß- und Mittelstädten Wohnungsnot, die sich bis zur Jahrhundertwende noch verschärfte. Obdachlosigkeit und Landstreicherei galten zudem als Straftat und konnten mit Gefängnis bestraft werden. Mit den sozialpolitischen Veränderungen in den 1880er Jahren richteten fast alle Städte Obdachlosenasyle ein, teils in Eigenregie, teils in Kooperation mit kirchlichen Trägern.

Obdachlose wurden abwertend als „Arbeitsscheue“ oder „Landstreicher“ bezeichnet, was ihnen unterstellen sollte, ihre Situation aus Faulheit selbst verschuldet zu haben. Dabei sind die Gründe für Wohnungs- und Obdachlosigkeit damals wie heute so individuell und vielfältig wie die Betroffenen selbst. Psychische Probleme, Schicksalsschläge, Suchtprobleme, Mehrfachbelastungen und finanzielle Schwierigkeiten können schnell zum Verlust von Arbeit und Wohnung führen. Außerdem entscheiden sich Menschen auch bewusst „auszusteigen“ oder als Berber von Ort zu Ort zu ziehen. Den „Obdachlosen“ gibt es nicht.

 

Obdachlosigkeit in der Weimarer Republik

In der Weimarer Republik waren fast eine halbe Million Menschen wohnungslos. Inflation, Weltwirtschaftskrise und knapper Wohnraum ließen die Zahl der Obdachlosen in die Höhe schnellen. Die Wohlfahrtsämter kümmerten sich nun um die Unterstützung, wodurch sich die Situation im Vergleich zum Kaiserreich verbesserte.

 

Obdachlosigkeit im Nationalsozialismus

Eines der Wahlversprechen der NSDAP war die Bekämpfung der „Asozialität“ und damit auch der Obdachlosigkeit. Die Lösung lag nicht in der Wohnungspolitik, denn die neu gebauten Wohnungen deckten den Bedarf nicht und waren für die meisten Wohnungssuchenden zu teuer. Materialmangel in den Kriegsjahren und die Zerstörung von Wohnraum durch die Alliierten ließen die Wohnungsnot zu einem der größten sozialen Probleme des „Dritten Reiches“ werden. Das NS-Regime verfolgte und inhaftierte die meisten Obdachlosen. Die Stigmatisierung, also die negative Abgrenzung einer Personengruppe aufgrund eines bestimmten Merkmals, der obdach- und wohnungslosen Menschen nahm stark zu. Sie wurden zu „Minderwertigen“ und vor allem zu „Asozialen“. Damit verbunden war eine Vielzahl negativer Zuschreibungen. Von der Norm abweichendes Verhalten wurde stigmatisiert. Die Menschen galten als arbeitsscheue Bettler. 1933 führte das NS-Regime sogenannte „Bettlerrazzien“ durch, bei denen obdachlose Menschen verhaftet, in Heil- und Pflegeanstalten eingewiesen und dort zwangssterilisiert wurden. Außerdem wurden sie in Arbeitshäuser, Gefängnisse und Konzentrationslager gesperrt. Mit der von Heinrich Himmler 1937/38 initiierten Massenverhaftungswelle „Arbeitsscheu Reich“ erreichte die Radikalisierung der sozialrassistischen Verfolgung eine neue Stufe. Zwischen 63.000 und 82.000 als "asozial" etikettierte Menschen wurden in Konzentrationslagern inhaftiert.

 

Obdachlosigkeit in der DDR und der BRD

In den ersten Nachkriegsjahren galten vor allem Ausgebombte und auf der Flucht befindliche Menschen als obdachlos. Dabei wurde zwischen „selbstverschuldeter“ und „unverschuldeter“ Obdachlosigkeit unterschieden. In der DDR wurde sogar der Begriff „asozial“ wiederverwendet, der aus Sicht der DDR-Regierung unerwünschte Verhaltensweisen assoziierte. Die Menschen wurden isoliert und in städtischen Randgebieten untergebracht. Sie waren weiterhin stigmatisiert und hatten es schwer, eine Übergangswohnung oder eine normale Wohnung im sozialen Wohnungsbau zu bekommen. In der Zeit des Wirtschaftswunders gab es wenig Verständnis für Mittel- und Obdachlosigkeit. Die 1960er und 1970er Jahre waren durch eine zunehmende Professionalisierung der Wohnungslosenhilfe gekennzeichnet. Die Einführung von SozialarbeiterInnen in den Einrichtungen führte zu einer gezielten Betreuung und Unterstützung wohnungsloser Menschen bei der Bewältigung ihrer Probleme. In den 1970er und 1980er Jahren übernahm der Bund die Mietzuschüsse und finanzierte Modelleinrichtungen. Es entstanden Beratungsangebote wie psychologische Hilfe, Sucht- und Schuldnerberatung bis hin zu Wohnangeboten in Obdachloseneinrichtungen. In den 1990er Jahren entstanden auch Anlaufstellen für obdachlose Frauen, für die es lange Zeit keine Angebote gab.

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Wohnungslosenhilfe in Oldenburg und in Deutschland insgesamt weiterentwickelt. Heute gibt es eine Vielzahl von Einrichtungen, die wohnungslosen Menschen Unterkunft, Verpflegung, medizinische Versorgung, Beratung und Unterstützung bei der Wohnungssuche bieten. Die Zusammenarbeit zwischen staatlichen Stellen, gemeinnützigen Organisationen und ehrenamtlichen Helfern hat dazu beigetragen, die Situation wohnungsloser Menschen zu verbessern.

Text: Stephan Lantow