CSD Nordwest

Que(e)r durch die Stadt

 

Ein "Christopher Street Day" (CSD) ist natürlich kein Ort, sondern eine Demonstration. Die Teilnehmer:innen gehen für die Vielfalt, Inklusion, Sichtbarkeit und Rechte von queeren Menschen auf die Straße. Aber der Ort, den wohl die meisten Oldenburger:innen mit dem CSD Nordwest verbinden, ist der Schloßplatz, auf dem inzwischen traditionell die Abschlusskundgebung stattfindet. Heute erscheint es wie eine Selbstverständlichkeit, dass dabei auch ein Grußwort des Oberbürgermeisters nicht fehlen darf, die Stadt das Organisationsteam für die ehrenamtliche Arbeit auszeichnet oder im Juni die Regenbogenflagge vor dem Rathaus gehisst wird.

Der CSD gehört einfach fest in den Veranstaltungskalender. Dass die Organisator:innen sich in den ersten Jahren gar nicht so sicher sein konnte, ob man nicht doch hinter einer zeitgleich stattfindenden Veranstaltung zurückstecken würde, ist heute kaum noch vorstellbar. In den Anfangsjahren musste der CSD beispielsweise mehrmals für die Kundgebung an andere Orte ausweichen. Im gesellschaftlichen Klima vergangener Jahrzehnte brauchte es eine Weile, um in der Stadt anzukommen und angenommen zu werden. Letztendlich ist auch die Geschichte der ganzen Bewegung noch nicht alt.

Die Bezeichnung Christopher Street Day ist ein Scheinanglizismus, also ein englischer Begriff, der aber in englischsprachigen Ländern so gar nicht verwendet wird. Stattdessen nennt sich dieselbe Veranstaltung dort "Pride Parade". In Deutschland, Österreich und der Schweiz erhielt sich mit dem Namen ein direkter Bezug zum Ursprung der Demonstration. Der eigentliche Christopher Street Day war der 28. Juni 1969, an dem in den frühen Morgenstunden in der New Yorker Bar "Stonewall Inn" ein Aufstand gegen gewalttätige Razzien der Polizei in Kneipen mit queeren Publikum ausbrach. Der sogenannte Stonewall-Aufstand, der seinen Anfang in der Christopher Street nahm, war der Funkenschlag für die moderne LSBTI-Bewegung, die sich fortan für die Rechte und Akzeptanz von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, transgender Menschen und Intersexuellen einsetzte. Bis die ersten Demonstrationen für die rechtliche und gesellschaftliche Gleichberechtigung auch durch Deutschland zogen, sollten allerdings noch zehn Jahre vergehen.

1979 gab es in Bremen, Köln und Berlin erste deutsche CSD-Veranstaltungen. In Bremen etablierte sich jedoch keine jährliche Demo. In den 1990er Jahren wurde ein neuer Versuch in der Hansestadt gewagt, allerdings gab es dabei wenig Unterstützung von außen und auch intern unterschiedliche Vorstellungen. Um nicht gänzlich ohne Repräsentation in der Region dazustehen, suchten einige der Mitstreiter:innen nach einem neuen Veranstaltungsort. Den fanden sie für das Jahr 1995 in Oldenburg. Hier war zunächst der „Na Und e.V.“, der das Lesben- und Schwulenzentrum in der Ziegelhofstraße betreibt, für die Organisation verantwortlich. 1997 wurde dann mit dem „Lesben- und Schwulentag e.V.“ ein eigener Verein gegründet, der sich um alle Anliegen des CSD in Oldenburg kümmerte. Später nannte dieser sich in „CSD Nordwest e.V.“ um.

Denn in Oldenburg entschied sich der Verein ganz bewusst, nicht nur der CSD Oldenburg zu sein. Stattdessen sollte schon der Namen signalisieren, dass man sich als CSD für den ganzen Nordwesten verstand. Während heutzutage beispielsweise auch Nordenham, Cloppenburg oder Aurich ihre eigenen Demos mit vielfältigem Rahmenprogramm bieten, gab es in den 1990er Jahre in kleineren Städten und Orten noch keinerlei Bestrebungen in diese Richtung. Der CSD Nordwest fungierte also auch als Treffpunkt und eine Möglichkeit des offenen Austausches für Menschen aus der ganzen Region, die sonst in ihrem Alltag weniger Gelegenheit hatten, einfach mal so andere kennenzulernen, die genauso liebten wie sie selbst. Einmal in der großen Gruppe die Mehrheit stellen, beim Weg durch die Stadt den Rest für einen Moment stillstehen lassen und die eigenen Anliegen öffentlich machen: So etwas lässt eben auch ein Gefühl von Gemeinschaft entstehen, dass inspirierend sein kann.

1995, bei der Premiere, waren etwa 500 bis 800 Teilnehmer:innen auf der Straße. Und es gab durchaus Pöbeleien von Seiten der Schaulustigen, auch zugehaltene Kinderaugen blieben in Erinnerung. Selbst als Gerd Schwandner in seiner Amtszeit als Oberbürgermeister (2006–2014) als erstes Stadtoberhaupt mitlief, musste er sich noch anhören, wie er es wagen könne, daran teilzunehmen. Glücklicherweise blieb es in Oldenburg bei verbalen Gegenwind, zumindest sind keine anderweitigen Übergriffe bekannt, während der CSD mit jedem Jahr wuchs. Quer durch die Innenstadt kann mittlerweile aufgrund der hohen Teilnehmerzahl nicht mehr gelaufen werden. Außerdem ist es längst normal, dass sich Schulen bei der Demonstration beteiligen. Vielfalt und Inklusion sind inzwischen Themen, die in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Und während die letzten beiden Jahre aufgrund von Covid-19 mit einer stillen Mahnwache und einer Demo im kleineren Ausmaß begonnen wurde, stellte der CSD Nordwest 2022 mit 15.000 Teilnehmer:innen einen neuen Rekord auf. Angekommen ist man also längst.

Text: Sebastian Tillenburg