Oldenburger Konsumverein

Selbstbedienung?

 

Der Oldenburger Konsumverein gründete sich am 21. Januar 1866 in den Räumen des Arbeiterbildungsvereins. Nach dem Vorbild der Rochdale Society of Equitable Pioneers (englisch für Gesellschaft der redlichen Pioniere von Rochdale) aus Großbritannien gründeten sich zu dieser Zeit viele Konsumgenossenschaften in Westeuropa. Ihr Ziel war die Versorgung der anwachsenden Stadtbevölkerungen und insbesondere der Arbeiterinnen und Arbeiter mit qualitativ hochwertigen Lebensmitteln und Alltagsgütern zu stabilen Preisen. Zu ihren genossenschaftlichen Grundprinzipien gehörten die Selbstorganisation, die Rückvergütung von Jahresüberschüssen sowie die verpflichtende Barzahlung. So sollten die Genossenschaftsmitglieder von der damals gängigen Praxis loskommen, den Kauf von Lebensmitteln durch Anschreiben abzugelten und zum verantwortungsvollen Umgang mit ihren oft ohnehin begrenzten Mitteln angeregt werden.

Etwa ein Viertel aller deutschen Haushalte war zur Zeit der Weimarer Republik in Konsumvereinen organisiert – der Konsumverein geriet spätestens mit den Inflationsjahren zum Massenphänomen. Auch in den oldenburgischen Landesteilen, zu denen damals noch Lübeck-Eutin und Birkenfeld gehörten, war die Konsumgenossenschaftsbewegung bis zum Ende der 1920er Jahre stark angewachsen. Bereits im November 1927 war die Fleischwarenfabrik der Bölts AG als Betrieb genossenschaftlicher Eigenproduktion von der Großeinkaufsgesellschaft deutscher Konsumvereine (GEG) übernommen worden. Ferdinand Vieth, Sekretär des Verbands der nordwestdeutschen Konsumgenossenschaften, berichtete auf dem im Mai 1929 in Oldenburg stattfindenden Verbandstags für das Geschäftsjahr 1928 von 79 Verteilstellen in 46 oldenburgischen Orten. Im Oldenburger Häuserbuch von Günter Wachtendorf finden sich bis 1930 über 30 Einträge zu Häusern des Oldenburger Konsumvereins, darunter auch das Hauptkontor und das Zentrallager am Stau.

Neben den zentralen Einrichtungen am Stau betrieb der Konsumverein je eine eigene Bäckerei und Molkerei in der Osterstraße sowie mindestens 10 über das Stadtgebiet verstreute Verteilungsstellen. Eine solche Verteilungsstelle befand sich ab 1923 unter anderem am Eingang zur von der Gemeinnützigen Siedlungsgesellschaft mbH Oldenburg (GSG) neu errichteten Wohnsiedlung Wittingsbrok.

Ein weiteres eindrückliches Beispiel für den Aufschwung des Konsumvereins in Oldenburg sind die beiden von Hans Martin Fricke entworfenen Verteilstellen am Herrenweg 45 und in der Kastanienallee 41A, die erst 2019 im Zuge der Ausstellung zum Forschungsprojekt „Das Bauhaus in Oldenburg“ am Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg umfassend beschrieben und eingeordnet wurden. Das Selbstbewusstsein der sich rege entwickelnden konsumgenossenschaftlichen Bewegung fand hier in der sachlichen Formsprache der neuen Verteilstellen einen passenden Ausdruck.

Text: Janne Jensen