Pferdemarkt

Das alles und noch viel mehr

 

Heute ist der Pferdemarkt ein großer Verkehrsknotenpunkt am Rande der Oldenburger Innenstadt. Rund um den zweispurigen Kreisel treffen Auto- und Fahrradverkehr aus den verschiedenen Richtungen aufeinander, mischen sich für einen Moment und ziehen weiter. Große Teile der Freiflächen sind Parkplatz, dreimal in der Woche füllen die Marktstände die noch vorhandene größte offene Fläche zwischen Standesamt und Bürgerbüro. Gastronomiebetriebe, Programmkino, Landesbibliothek und andere Einrichtungen säumen den Platz.

Die Fläche, die heute den Pferdemarkt umfasst, lag historisch außerhalb der Grenzen der Stadt hinter dem Heiligengeisttor, eines der fünf Stadttore. Das Gelände war ursprünglich, wie viele Bereiche außerhalb der Stadtmauer, Weidefläche für Vieh. Seit 1803 besteht die Platzanlage in ihrer heutigen Form – angelegt als Exerzierplatz für Soldaten. Allerdings ist die ehemals nahezu quadratische Anlage des Platzes heute aufgrund der Straßenführung kaum noch nachvollziehbar. Damals ließ der Herzog von Oldenburg, Peter Friedrich Ludwig (1755-1823), die Fläche anlegen. Um einen kompletten Militärstandort entwickeln zu können, setzte der Verantwortliche des Oldenburgischen Militärs, Wilhelm Gustav Friedrich Wardenburg (1781-1838), im Anschluss den Bau einer ersten Kaserne für die Infanterie-Einheit des 91er-Regiments durch. Links und rechts der Heiligengeiststraße entstanden zwei identisch ausgeformte Gebäude.

Das Gebäude auf dem östlichen Platzteil wurde bei einem Brand 1895 zerstört. Der Nachfolgebau, in dem sich heute die Landesbibliothek befindet, unterscheidet sich stark vom gegenüberliegenden Bau, der noch die ursprüngliche Form besitzt. Hier befinden sich heute Räumlichkeiten der Stadtverwaltung, unter anderem das Bürgerbüro. Ein weiterer Kasernenbau schließt sich östlich an den Neubau an. Die sogenannte „Rote Kaserne“ wird seit Mitte der 1990er Jahre als Studierendenwohnheim genutzt. Aus der Zeit der militärischen Nutzung des Pferdemarktes stammt auch noch das Gebäude des heutigen Standesamtes. Der Bau entstand ursprünglich als Militärschule, wurde aber schon zehn Jahre nach Entstehung ab 1848 als Landtagsgebäude genutzt. Später diente es als Säuglingsheim, Vertretung des Pferdezüchterverbandes und als Schule.   

Zur Zeit des Nationalsozialismus war der Pferdemarkt Versammlungsstätte für verschiedene Großveranstaltungen. Und schon vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten war der Pferdemarkt am 10. Mai 1931 Bühne für eine Wahlkampfveranstaltung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) zur Landtagswahl. Viele Menschen kamen, um den angereisten Parteivorsitzenden Adolf Hitler zu sehen und seine Ansprache zu hören. Es gab lediglich am Rande kleine Proteste, viele begeisterten sich für die Ziele der Partei. Diese Begeisterung für die Partei mündete schließlich bei der Landtagswahl 1932 in der absoluten Mehrheit für die NSDAP. Im Freistaat Oldenburg wurde so die erste nationalsozialistische Landesregierung deutschlandweit gewählt.

Dem Pferdemarkt sollte nach den Ideen der Gauleitung perspektivisch noch eine wichtigere Funktion zukommen. Deutschland war zur Zeit des Nationalsozialismus in 43 Gaue unterteilt. In 36 Gauhauptstädten sollten Gebäude-Ensembles zur Repräsentation und Propaganda der nationalsozialistischen Partei errichtet werden. Oldenburg gehörte als Hauptstadt des Gaus Weser-Ems zu diesen ausgewählten Städten. Unter der Führung des Gauleiters Carl Röver (1889-1942) wurden Pläne zur Umgestaltung der Stadt vorangetrieben. In der Nordstadt zwischen Pferdemarkt und Flötenteich sollte ein modernes Zentrum in monumentaler Architektur entstehen. Der Pferdemarkt, inzwischen umbenannt in „Platz der S.A.“, sollte zu einem Stadtforum umgebaut werden mit einem Rathaus-Neubau, dem Kreishaus der NSDAP und einer Stadthalle. Die Entwürfe, von denen ein Großteil heute verschollen ist, wurden zur Genehmigung zur Reichskanzlei nach Berlin gebracht. Aufgrund der Konzentration aller Kräfte auf das Kriegsgeschehen (1939-1945) kam es zu keiner Entscheidung und die Pläne wurden nicht realisiert.

Der Pferdemarkt war in der Zeit des Nationalsozialismus nicht nur Ort für monumentale Architekturplanungen, sondern realer Schauplatz eines Verbrechens an den jüdischen Bürgern der Stadt. Von der ehemaligen Infanteriekaserne aus, die seit 1918 Sitz der Polizei war, startete am 10. November 1938 der sogenannte „Oldenburger Judengang“. Am 9. November wurden von den Nationalsozialisten deutschlandweit Synagogen in Brand gesteckt, auch in Oldenburg. Hier wurden außerdem alle jüdischen Männer festgenommen und am darauffolgenden Tag von der Kaserne durch die Innenstadt zum Gerichtsgefängnis getrieben. Einen Tag später folgte ihre Deportation in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Seit 1982 wird am Jahrestag mit dem „Erinnerungsgang“ an dieses Verbrechen an Bürgern der Stadt erinnert.

Noch einmal zurück zur frühen Funktion des Platzes. Wie der Name sagt, wurde die Fläche als Markt für den Verkauf von Pferden genutzt. Beim jährlich stattfindenden Medardusmarkt am 8. Juni wurden im 19. Jahrhundert 3.000 bis 4.000 Pferde verkauft. Nicht nur Viehmarkt und Wochenmarkt fanden und finden auf dem Platz statt. 1877 zog der Kramermarkt vom Marktplatz dorthin um beziehungsweise der Markt wurde zweigeteilt. Auf dem Marktplatz neben der Lambertikirche wurden weiterhin die Waren der Händler („Krämer“) angeboten, auf dem Pferdemarkt fand die zunehmende Anzahl an Fahrgeschäften und anderen Attraktionen ihren Standort. Inzwischen war der Markt zu einem beliebten Volksfest geworden und zog jährlich viele Menschen auch aus der Region an. 1963 wurde der Jahrmarkt im Kontext der Planungen der Bahnhochlegung auf die Freifläche neben der Weser-Ems-Halle verlegt, wo er bis heute jedes Jahr im Herbst für die „fünfte Jahreszeit“ Oldenburgs sorgt.

Schon in den 1930er Jahren gab es verstärkt Überlegungen, die ebenerdig über den Pferdemarkt verlaufenden Bahnschienen bzw. Bahnübergänge zu beseitigen. Der Autoverkehr spielte da zwar noch keine größere Rolle, aber der zunehmende Eisenbahnverkehr sorgte für häufige und lange Wartezeiten von vor allem Fußgänger:innen und Radfahrer:innen vor den geschlossenen Schranken. Aber erst mit der starken Zunahme des Autoverkehrs in den 1950er Jahren ließen sich Maßnahmen zur Entlastung der Innenstadt nicht mehr aufschieben. Eine Zählung ergab im Mai 1955, dass an einem Tag in der Zeit von 5 Uhr bis 23 Uhr 66.110 Verkehrsteilnehmende (darunter 10.468 Kraftfahrzeuge und 26.513 Fahrräder) die Kreuzung Heiligengeiststraße zum Pferdemarkt überquert hatten. Nach dem Beschluss der Bahnhochlegung 1963 wurde das Projekt 1966 realisiert und eine 300 Meter lange Brücke erstreckt sich seitdem vom Bahnhof bis über die Peterstraße. Die Bahnhochlegung und der Bau der Osttangente (Staulinie) vom Schloss über den Paradewall zum Pferdemarkt und die folgenden Umbauten des Platzes zum Kreisel veränderten die Funktion des Pferdemarktes deutlich hin zu einem zentralen Verkehrsknotenpunkt. Durch die Umbauten verschwanden auch eine Ladenzeile und die beliebte Eisdiele „Chiamulera“. Der Platz verlor zumindest zum Teil seine historisch gewachsene kommunikative Funktion.

Das alles und noch viel mehr sind Geschichten rund um den Pferdemarkt. Und die Entwicklung geht weiter. Im Rahmen des Städtebauförderungsprogramms „Lebendige Zentren – Erhalt und Entwicklung der Stadt- und Ortskerne“ soll der Bereich „Nördliche Innenstadt“ bis 2035 weiterentwickelt werden. Das umfasst beispielsweise den Bereich rund um das Stadtmuseum, die Leerstelle des ehemaligen Finanzamtes und auch den Pferdemarkt. Der öffentliche Raum soll eine Aufwertung erfahren und das gesamte Gebiet, das nur wenige Meter vom Innenstadtkern entfernt liegt, soll attraktivere Nutzungsmöglichkeiten für die Stadtbevölkerung erhalten.

Text: Franziska Boegehold-Gude