Brennereien Etzhorn

Von Korn und Kunst

 

Städte werden in der Kunst gerne als lebendige Organismen dargestellt oder beschrieben. Wie solch ein Organismus wachsen sie, dehnen sich aus und verleiben sich in diesem Prozess oft auch andere, kleinere Organismen ein. Eingemeindung nennt sich das dann auf Verwaltungsebene. Etzhorn gehört seit einer Verwaltungsreform 1933 zur kreisfreien Stadt Oldenburg. Aber die Keimzelle des Ortes ist viel älter. Urkundlich wird Eddeshorne erstmals im Jahr 1305 erwähnt. Entstanden ist die Bauernschaft, wie viele im Oldenburger Land, wohl im 9. Jahrhundert als sogenannte Eschsiedlung. 

Die Esch ist eine Ackefläche, die zumeist von einem hohen Wall und Strauchwerk umgeben war. Damit wollte man die angebauten Feldfrüchte vor Verbiss durch Vieh und Wild schützen. Denn geeignete, trockene Ackerfläche für den Anbau war in der sumpfigen und moorigen Geestlandschaft eine hohes Gut. Alle ansässigen Bauern, die in dieser Gegend als Hausleute bezeichnet wurden, besaßen innerhalb dieser Umwallung ihre Ackerstreifen. Im heutigen Etzhorn waren dies vier Stammhöfe, die alle über Jahrhunderte im Familienbesitz verblieben. Zwei davon, der Stammhof Hilbers und der Stammhof Hullmann, entdeckten später das Korn für sich.

Die Familie Hullmann ist ab 1469 in Etzhorn nachweisbar. Ursprünglich bewirtschaftete man Besitzungen des Klosters Rastede, bis das Kloster 1529 im Zuge der Reformation aufgehoben wurde. Nach mündlicher Überlieferung wurde die Brennerei im Jahr 1807 begründet. Mit dieser Gründung setzte ein stetiger Aufschwung ein, denn aus dem Verkauf des Kornbrands, der hier aus Roggen, Weizen und Darrmalz hergestellt wurde, erwirtschaftete man Überschüsse. Mit diesen wiederrum erweiterte man die eigenen Besitzungen. Selbst das Abfallprodukt der Brennerei, die sogenannte Schlempe, kam noch der Rindermast zugute.  

Der Stammhof Hilbers wird vermutlich schon in Urkunden des Klosters Blankenburg aus dem 14. Jahrhundert erwähnt. Der Familienname selber kann ab dem 16. Jahrhundert nachgewiesen werden, als der Hof aus dem Besitz des Klosters in den der Grafen überging. Auch hier gibt es für den Beginn der Brennerei nur mündliche Überliegerungen. Das Jahr 1846 wird genannt. Der Neubau des großen Brennereigebäudes fand 1885 statt. Anders als bei Hullmann kamen hier auch Kartoffeln mit in die Produktion. Außerdem produzierte man Hefe, die bis 1960 deutschlandweit vertrieben wurde.

Der Vertrieb der produzierten Waren hatte schon früher Einfluss auf die Etzhorner Infrastruktur. Sowohl die Familie Hilbers als auch die Familie Hullmann beteiligten sich sowohl finanziell als auch durch Abtretung von Grund und Boden am Bau der Bahnlinie Oldenburg – Brake, die 1896 den Betrieb aufnahm und alsbald den Spitznamen Gummibahn erhielt, da der moorige Untergrund an vielen Stellen für ein besonderes Fahrgefühl sorgte. Ab 1926 gab es bei Hilbers sogar einen eigenen Gleisanschluss, was den Transport noch einfacher machte.

Aber nicht nur die Entwicklung von Pferde- und Ochsenwagen zu Transportmöglichkeiten mit mehr Pferdestärken lässt sich am Beispiel beider Höfe zeigen: Am 17.09.1904 erschien in den Nachrichten für Stadt und Land ein Artikel der die Schwierigkeiten des Gewerbevereins der deutschen Fabrik- und Handarbeiter mit den damaligen Brennereibesitzern aufzeigte, wenn es um die Verringerung der Arbeitszeiten ging.

„Die Herren Hullmann und Hilbers mögen es sich gesagt sein lassen, das patriarchalische Arbeitsverhältnis, wie es zu Großvaters Zeit noch üblich war, passt nicht mehr in den Rahmen der heutigen Verhältnisse; frei will der ‚Arbeiter der gegenwärtigen Zeit außerhalb der Arbeit sein!“

Nicht unerwähnt bleiben soll auch, dass während des Zweiten Weltkrieges, wie in einigen Oldenburger Betrieben, auf die Arbeitskraft von Zwangsarbeiter:innen zurückgegriffen wurde.

Heute wird bei Hullmann nach wie vor Kornbrand hergestellt, auch wenn viele Arbeitsschritte inzwischen automatisiert sind. Jahr für Jahr nimmt das Hullmansche Alte Korn aus Etzhorn eine Reise auf sich: Beim Defftig Ollnborger Gröönkohl-Äten gibt es ihn als traditionellen Löffelschluck.

Bei Hilbers ging man dagegen andere Wege, als 2004 das Branntweinmonopol für gewerbliche Brennereien und die Herstellung von Molasse-Alkohol fiel. Man verabschiedete sich gänzlich von der Alkoholproduktion und baute sich ein neues, zweites Standbein auf. Inspirieren ließ man sich hierbei von der Umnutzung anderer Fabrikgebäude in der Umgebung. Seitdem gibt es nun Kunst statt Korn, denn in dem Gebäude der alten Brennerei entstanden Ateliers für Künstler und Kunsthandwerker. So wachsen hier nun ganz neue Dinge.

 

Text: Sebastian Tillenburg